Syrien:Die härteste Schlacht eines fünfjährigen Krieges

Smoke rises over the industrial city in Aleppo, Syria

Eine Rauchwolke steigt am 4. Februar 2016 über Aleppo auf, dem einstigen wirtschaftlichen Zentrum Syriens.

(Foto: REUTERS)
  • Das Regime von Assad versucht, Aleppo einzukesseln, die Schlacht um die Millionenstadt könnte entscheidend im Syrien-Krieg sein.
  • Auch an anderen Fronten geht das Regime mit russischer Luftunterstützung erstmals seit mehr als einem Jahr wieder in die Offensive, mit Erfolg.
  • Problematisch ist die Schlacht um Aleppo auch deshalb, weil sie den Konflikt um die Kurden und die Konfrontation zwischen der Türkei und Russland weiter befeuern könnte.

Von Paul-Anton Krüger

Es ist ein Bündnis der Verzweifelten: Am Donnerstag verkündeten Feldkommandeure der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderer Rebellengruppen aus Dörfern nördlich von Aleppo, sich unter einem einheitlichen Militärkommando zusammenzutun. Ihre Männer kämpfen in der härtesten Schlacht eines Krieges, der bald fünf Jahre dauert. Sie kämpfen ums Überleben, darum, dass Aleppo, eine Millionenstadt und einst Syriens wirtschaftliches und industrielles Zentrum, nicht eingeschlossen wird von den Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad.

Die Friedensgespräche in Genf hatten noch nicht begonnen, da fing die russische Luftwaffe an, Hunderte Angriffe zu fliegen. Sie trafen - wieder einmal - nicht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die östlich von Aleppo steht. Sie galten Dörfern an der einzig verbliebenen Versorgungsroute zur türkischen Grenze, der Lebensader der von Rebellen gehaltenen Teile der Stadt und einzigem Zugang für humanitäre Hilfe. Sie ist nun seit Mittwoch gekappt.

Regierungstruppen, unterstützt von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah, Offizieren der iranischen Revolutionsgarden sowie schiitischen Söldnern aus dem Irak und Afghanistan, nahmen ein halbes Dutzend Dörfer ein. In Mayer, einem Ort mit einst 4500 Einwohnern, hissten Hisbollah-Milizionäre ihre Flagge auf dem Minarett einer sunnitischen Moschee. Während hier die Menschen flohen, wurden die Truppen des Regimes in Nubl und Zahraa mit Jubel begrüßt. Rebellen hatten die beiden schiitischen Dörfer drei Jahren belagert; das Regime versorgte sie aus der Luft.

Kriegsparteien in Syrien und Irak

Ein Sieg des Regimes in Aleppo wäre an Symbolkraft kaum zu überschätzen

Über das Wochenende verschärften sich die ohnehin schweren Gefechte, Zehntausende Zivilisten fliehen. Das Regime versucht, Aleppo einzukesseln, wo in den Rebellen-Vierteln immer noch 350 000 Menschen leben. Die Geländegewinne der Regierung sind überschaubar, längst ist nicht klar, ob sie von Dauer sind. Aber es könnte die Entscheidungsschlacht sein - um Aleppo und in diesem Krieg. Nachdem Homs, von Assads Truppen zu Ruinen zerschossen, nach Jahren der Belagerung an die Regierung fiel, ist Aleppo die wichtigste Großstadt, die Rebellen noch zum Teil kontrollieren. Sollten sie Aleppo verlieren, wäre dies ein strategischer Sieg für das Regime - und an Symbolkraft kaum zu überschätzen.

Denn auch an anderen Fronten geht das Regime mit russischer Luftunterstützung erstmals seit mehr als einem Jahr wieder in die Offensive: In der Provinz Latakia, dem alawitischen Kernland, aus dem Assads Familie stammt, hat es die Rebellen zurückgeschlagen und rückt jetzt in das Nachbargouvernement Idlib vor. Die Rebellen hatten es im Frühjahr 2015 erobert in einer koordinierten Offensive, an der teilweise auch die Nusra-Front beteiligt war, der syrische Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.

Im Süden haben Regierungstruppen Ataman eingenommen, einen strategisch wichtigen Ort nahe der Stadt Deraa. Im Westen belagern sie ein von Aufständischen gehaltenes Gebiet nördlich von Homs und versuchen, es sturmreif zu schießen. Es versperrt die Straße nach Hama und damit den direkten Korridor von Damaskus nach Aleppo. Auch dort treffen die Bomben nationalistische und gemäßigte Rebellen, vom "Islamischen Staat" keine Spur.

"Wir raten niemandem, sich mit diesem Vogel im Himmel über Syrien anzulegen"

Die Lage um Aleppo ist so gefährlich, weil sie einen größeren Konflikt entfachen könnte: Im Rücken der syrischen Soldaten stießen Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Kurden aus dem Kanton Afrin Richtung Osten vor. Sie rückten in mindestens drei Dörfer ein, die von Kurden bewohnt sein sollen. Den Rebellen dürfte das als weiterer Beleg gelten, dass die Kurden gemeinsame Sache mit Assad machen; Moskau besteht darauf, die Kurden an Friedensgesprächen zu beteiligen.

Wichtiger aber noch: Die Türkei betrachtet die YPG als Ableger der als Terrororganisation verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, gegen die sie im eigenen Land Krieg führt. Ankara will auf jeden Fall verhindern, dass sich entlang der Grenze ein unabhängiger Kurdenstaat bildet - kaum vorstellbar, dass die Türkei hinnimmt, dass die Kurden im Zuge der Regierungsoffensive eine Verbindung zwischen dem isolierten Afrin und Kobanê schlagen. Genau in diesem Gebiet wollte Ankara im Herbst auf syrischer Seite eine Schutzzone für Flüchtlinge einrichten und den IS vertreiben. Als kurdische Verbände das letzte Mal von Kobanê aus nach Westen den Euphrat überschritten und in IS-Gebiet vordrangen, flog die türkische Luftwaffe Angriffe gegen sie.

Doch seitdem die Türken Ende November einen russischen Su-24-Jagdbomber abgeschossen haben, weil er kurzzeitig in den türkischen Luftraum eingedrungen war, warten die Russen auf eine Gelegenheit zur Vergeltung. Sie haben moderne S-400-Luftabwehrsysteme nach Syrien verlegt und Su-35-Jagdflugzeuge. "Wir raten niemandem, sich mit diesem Vogel im Himmel über Syrien anzulegen", schrieb Vizepremier Dimitrij Rogosin auf Facebook.

Wer nach Syrien eindringe, werde "im Holzsarg nach Hause zurückkehren"

Die Türkei hat derweil Truppen im Grenzgebiet zusammengezogen; Präsident Tayyip Erdoğan beschuldigte Russland neuer Luftraumverletzungen. Der Sprecher des Moskauer Verteidigungsministeriums, General Igor Konaschenkow, warf den Türken daraufhin vor, einen Einmarsch zu planen. Spekulationen über eine Intervention befeuerte der Sprecher der Streitkräfte Saudi-Arabiens, Ahmed al-Asiri. Riad sei bereit, Bodentruppen zu stellen, sollte sich die von den USA geführte Koalition gegen den IS zu einem Einsatz gegen die Dschihadis in Syrien entschließen. Russland hat vorgemacht, wie man den Kampf gegen den IS zum Vorwand für eine Intervention nehmen kann. Syriens Außenminister Walid al-Muallim warnte vorsorglich, wer nach Syrien eindringe, werde "im Holzsarg nach Hause zurückkehren".

Bedeckt halten sich bislang die USA. Rebellenkommandeure kritisieren, sie hätten die Waffenhilfe gekürzt. Außenminister John Kerry sagte nun, man werde bald wissen, ob Russland ernsthaft zu einer Waffenruhe bereit sei - gemeint war das Außenministertreffen am Donnerstag in München. Bis dahin gelte, dass auch Lamentieren das Bombardement nicht stoppe. Kerry behielt allerdings für sich, was er und Präsident Barack Obama zu tun bereit sind, wenn sie zum Schluss kommen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht wirklich einen Waffenstillstand anstrebt.

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