Süddeutsche Zeitung

Syrien:Sie haben keine Wahl

Am Sonntag sollen die Bürger in Syrien über ein neues Parlament abstimmen - das Ergebnis steht vorher schon fest.

Von Paul-Anton Krüger und Dunja Ramadan

Ein grüner Geldschein mit dem Konterfei von Hafis al-Assad, krümeliger Tabak darauf, die Flamme eines Feuerzeugs, um die zur Zigarette gerollte Banknote anzuzünden. Mit diesen Bildern haben Syrer in den vergangenen Wochen auf sozialen Medien das Regime von Präsident Baschar al-Assad kritisiert. Tausend Lira, das waren vor Beginn des Bürgerkrieges vor gut neun Jahren mehr als 20 Dollar. Heute müssen Syrer 2500, manchmal auch 3000 oder 3500 Lira für einen Dollar auf dem Schwarzmarkt bezahlen. Das Land taumelt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, selbst zum Höhepunkt der Kämpfe 2014 und 2015 war die Lage nicht so desolat. Die UN warnen, das Brot könne ausgehen; Millionen Syrer müssen schon am Essen sparen.

In dieser angespannten Lage lässt das Regime am Sonntag in den von ihm kontrollierten Gebieten Wahlen für die 250 Sitze des weitgehend machtlosen Parlaments abhalten, nachdem die Abstimmung wegen der Corona-Pandemie zwei Mal verschoben worden war. In jeder Demokratie würde das wohl eine krachende Niederlage der Regierungspartei bedeuten. In Syrien steht schon vor der Stimmabgabe fest: Auch im neuen Parlament wird Assads Baath-Partei mit ihren Verbündeten die unangefochtene Mehrheit haben.

Die Preise für Lebensmittel haben sich verdoppelt

Die Schuld für die Krise weist das Regime vor allem den Sanktionen westlicher Staaten zu. Allerdings sah sich der Präsident gezwungen, Mitte April seinen seit 2016 amtierenden Premierminister Imad Khamis zu schassen und ihn durch Hussein Arnous zu ersetzen. Zu groß war die Unzufriedenheit selbst in Hochburgen des Regimes geworden. Eine Bewohnerin der Hauptstadt Damaskus berichtet, die Leute würden Möbel und andere Gebrauchsgegenstände verkaufen, um sich noch mit dem Nötigsten versorgen zu können. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich binnen weniger Monate verdoppelt.

In Suwaida, 90 Kilometer südlich von Damaskus, kam es im Juni über Tage zu offenen Protesten gegen das Regime. Die größte Bevölkerungsgruppe dort sind Drusen, eine religiöse Minderheit, deren Angehörige bislang überwiegend das Regime unterstützten. Rayan Maarouf heißt eigentlich anders, aber der Betreiber der Nachrichtenseite Suwaida 24, der auf Facebook fast 300 000 Menschen folgen, verwendet aus Furcht vor dem Regime ein Pseudonym. Bei den Protesten waren Journalisten der Nachrichtenseite dabei. Ihre Videos zeigen Polizisten, die Demonstranten mit Schlagstöcken zusammentreiben und festnehmen. Die Protestler rufen: "Der Freie hebt die Hand" und "Revolution, Freiheit, soziale Gerechtigkeit". Auch politische Forderungen wurden laut: der Rückzug ausländischer Truppen aus Syrien, gemeint sind die russischen und iranischen Soldaten und Milizionäre, sowie der Rücktritt Assads. Ungewöhnliche Töne aus einer Stadt, die von der Regierung kontrolliert wird. Maarouf erzählt am Telefon, dass mehr als ein Dutzend Menschen in ein Gefängnis nach Damaskus gebracht worden sind. Einige seien nur zufällig an den Demonstrationen vorbeigelaufen.

Auch regimetreue Geschäftsleute murren inzwischen lauter

Die Situation in der Stadt verschlechtere sich zunehmend. Auch die beunruhigende Sicherheitslage mache den Bewohner Suwaidas zu schaffen, sagt Maarouf. Nahezu täglich würden Menschen von Milizen verschleppt, um von ihren Familien hohe Lösegelder zu erpressen. Die Menschen in Suwaida fühlten sich von der Regierung zunehmend vernachlässigt. Hinzu kommt die steigende Zahl an Corona-Infektionen. Dennoch würde er nicht so weit gehen zu sagen, dass sich die Mehrheit der Drusen gegen Assad stellen. Es sei eine laute Minderheit, die mittlerweile aufbegehre. Und die damit offenbar auch durchkommt: Ein Großteil der festgenommenen Demonstranten wurden auf Druck einer lokalen drusischen Miliz mit Namen "Männer der Ehre", die etwa 2000 Mitglieder zählt, mittlerweile freigelassen, erzählt Maarouf.

Doch auch regimetreue Geschäftsleuten murren nun lauter. Neue US-Sanktionen verschärfen die Isolation des Landes. Der Caesar Act, benannt nach einem Militärfotografen, der Folter und Morde in syrischen Gefängnissen publik gemacht hatte, stellt jegliche Unterstützung des Regimes unter Strafe - und ohne das Regime kann in Syrien niemand größere Geschäfte abwickeln. Die Sanktionen befeuern die ohnehin schon rasende Inflation. Der Zusammenbruch des Bankensystems in Libanon schneidet Syrien von Devisen ab; 40 Milliarden Dollar Guthaben syrischer Eigentümer sollen blockiert sein. Auch die Rücküberweisungen von Syrern, die im Ausland leben, sind eingebrochen. Während des Bürgerkriegs, der noch nicht beendet ist, sei es um Sicherheit gegangen, sagt ein Bewohner von Damaskus. Nun aber gehe es um die Wirtschaft des Landes.

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