Syrien:Schutzlos in den Wirren des Krieges

Syrien: Israelische Drusen appellieren an die Regierung, ihrem Volk zu helfen.

Israelische Drusen appellieren an die Regierung, ihrem Volk zu helfen.

(Foto: Menahem Kahana/AFP)

Syriens Drusen fürchten die vorrückenden Islamisten. Ihr Hilferuf erreicht auch Israel.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Nun trifft es auch die Drusen: Die Religionsgruppe, deren rund eine Million Mitglieder verstreut über Syrien, Libanon und Israel leben, sind nun durch ein Massaker in den Fokus des syrischen Bürgerkriegs geraten. Mindestens 20 Drusen sollen vorige Woche in der nördlichen Provinz Idlib von Kämpfern der Al-Nusra-Front hingemetzelt worden sein. Zunehmend bedroht werden die 700 000 syrischen Drusen aber auch von den Truppen des Islamischen Staats (IS) - und die Sorge wächst, dass ihnen rund um den Jabel al-Druze, den Drusenberg, ein ähnlich grausames Schicksal drohen könnte wie den Jesiden. Hilfe wird dringend angefordert - nicht zuletzt aus Israel.

Der syrische Drusenberg nämlich ist nur 50 Kilometer entfernt von den Golanhöhen, auf denen ein Teil der mehr als 100 000 israelischen Drusen lebt. Nicht wenige Drusen dienen in Israels Armee, manche sogar auf höheren Posten. Loyalität allen Regimes gegenüber gehört als überlebenssichernde Vorsichtsmaßnahme zu den Grundhaltungen dieser Religionsgruppe, die sich vor tausend Jahren vom Islam abgespalten hat. Doch die Sorge um die Glaubensgenossen in Syrien hat nun die Drusen auf der israelischen Seite zum Protest auf die Straßen getrieben. Gefordert wird von Israel militärischer Beistand oder zumindest Waffenlieferungen.

Der Bürgermeister eines Drusendorfs auf dem Golan verglich die "existenzielle Bedrohung" seines Volkes gar mit dem Holocaust, um die Regierung in Jerusalem aufzurütteln. Das Massaker von Idlib bezeichnete er als drusische "Kristallnacht". Hinter den Kulissen sondiert überdies der drusische Likud-Politiker Ajub Kara, der jüngst zum Vize-Minister für Regionale Kooperation ernannt worden war, alle Möglichkeiten zur Hilfeleistung.

Der Golan ist ein Pulverfass. Auf syrischer Seite tummeln sich Truppen aller Couleur

Die israelische Regierung allerdings steckt in einem Dilemma. Die Golanhöhen gleichen ohnehin einem Pulverfass. Auf der syrischen Seite tummeln sich Truppen aller Couleur: die Einheiten von Präsident Baschar al-Assad, die al-Qaida-nahe Nusra-Front, die IS-Kämpfer sowie die libanesische Hisbollah, die Assad zur Seite steht und von Iran unterstützt wird. Israel will keinesfalls hineingezogen werden in diese Wirren. Bislang hat sich die Armee darauf beschränkt, grenzüberschreitendes Feuer zu erwidern sowie von Zeit zu Zeit Konvois zu bombardieren, die Waffen von Syrien aus in die Arsenale des Erzfeindes Hisbollah transportieren sollten. Für alle Fälle wurden auch die Grenzanlagen deutlich verstärkt. Doch der Druck auf die Drusen könnte neue Maßnahmen erforderlich machen.

Militärischer Beistand wurde, wie die israelische Zeitung Haaretz berichtet, bei einem Treffen von Premierminister Benjamin Netanjahu mit Verteidigungsminister Mosche Jaalon und hohen Sicherheitsexperten ausgeschlossen. Aus der Armee ist jedoch zu hören, dass im Falle der Bedrängnis humanitäre Hilfe geleistet werden soll. Konkret könnte dies eine Öffnung der Grenze auf dem Golan bedeuten, um in großer Zahl flüchtenden Drusen in Israel Schutz zu bieten. Zudem hat Israels Regierung die USA eingeschaltet. Präsident Reuven Rivlin machte den auf Besuch in Jerusalem weilenden US-Generalstabschef Martin Dempsey dringlich auf die Lage der Drusen aufmerksam.

Bedrohlich ist die Situation nicht zuletzt, weil die Drusen innerhalb Syriens kaum mit Beistand von irgendeiner Seite rechnen können. Zunächst hatten sie sich hinter Präsident Assad gestellt, der als Alawit allen syrischen Minderheiten als Garant ihrer Sicherheit galt. Doch einerseits ist die Unterstützung längst gebröckelt wegen der Brutalität des Regimes, andererseits hat Assads Schwäche dazu geführt, dass die Drusen weitgehend schutzlos geworden sind. Den vorrückenden Islamisten von al-Nusra und IS aber gelten sie als Häretiker, was erfahrungsgemäß die schlimmsten Konsequenzen haben kann.

Zwar hat sich in einem durchaus überraschenden Schritt ein Führer der Nusra-Front nach dem Massaker von Idlib inzwischen offiziell entschuldigt und angekündigt, die Täter würden bestraft. Offenbar wollen die Islamisten keine neue Front eröffnen. Aber den Worten solcher Fanatiker wollen die Drusen nicht vertrauen. In israelischen Medien wird bereits spekuliert über eine eigene drusische Miliz, die mit bis zu 100 000 Kämpfern in die Schlacht ziehen könnte. Die Lage in Syrien dürfte dadurch allerdings nur noch verworrener werden.

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