Süddeutsche Zeitung

Syrien:Russland erklärt Evakuierung von Ost-Aleppo für beendet - Rebellen widersprechen

  • Die Informationen zur Evakuierung von Ost-Aleppo sind widersprüchlich.
  • Laut russischer Seite ist der Abtransport von Aufständischen und Zivilisten abgeschlossen, die Rebellen widersprechen. Die syrische Regierung spricht lediglich von einer Unterbrechung der Aktion.
  • Einer Hilfsorganisation zufolge wurden erst 6500 Menschen aus der Stadt gebracht.

Das russische Verteidigungsministerium hat die Evakuierung Ost-Aleppos für beendet erklärt. Die Rebellen und ihre Familien hätten die Stadt verlassen, heißt es von der Nachrichtenagentur Interfax. Insgesamt seien mehr als 9500 Personen aus dem Stadtteil gebracht worden, darunter 4500 Kämpfer und 337 Verletzte. Alle Frauen und Kinder seien in Sicherheit. Allerdings seien noch einige radikale Kämpfer in Aleppo verblieben.

Vertreter der syrischen Rebellen widersprechen jedoch. Die Evakuierung sei bei weitem nicht abgeschlossen. Nur die Verletzten und einige Zivilisten hätten den Stadtteil verlassen, sagte ein Sprecher der Rebellengruppe Fastakim.

Den russischen Angaben stehen auch Informationen von Hilfsorganisationen gegenüber, wonach ursprünglich 70 000 Menschen aus der Stadt gebracht werden sollten. Ayham Al-Zoebi ist mit seiner Organisation UOSSM an der medizinischen Betreuung der Evakuierten beteiligt. Im Gespräch mit der SZ sagte er, lediglich 6500 Menschen hätten Ost-Aleppo verlassen können, 500 davon seien schwer verwundet, einige mussten beatmet werden. Sein 75-köpfiges Team befindet sich in Khan al Assal, einem Stadtteil von Aleppo. Seitdem in der Stadt erneut einzelne Kämpfe aufgeflammt sind, bangt der Arzt um seine Kollegen und die medizinische Ausrüstung: "Wir haben uns zerstreut, damit im Falle eines Angriffs nicht alle getötet werden." Gleichzeitig hoffe er, dass die Evakuierungen bald wieder aufgenommen werden können.

Ein Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz rief alle Konfliktparteien in Syrien dazu auf, eine Fortsetzung der Evakuierungen von Ost-Aleppo sicherzustellen. IKRK-Regionaldirektor Robert Mardini schrieb auf Twitter, bedauerlicherweise sei die Aktion ausgesetzt. "Wir rufen die Parteien auf, zu gewährleisten, dass sie wieder gestartet und unter den richtigen Bedingungen weitergehen kann." Augenzeugen, die Aleppo verlassen konnten, berichten von Tausenden Familien, die darauf warten, aus der Stadt gebracht zu werden. Auch dem UN-Sondergesandte Staffan de Mistura zufolge sitzen immer noch Zehntausende Menschen fest.

Die syrische Regierung äußerte sich anders als das russische Verteidigungsministerium. Demnach sei die Evakuierung lediglich unterbrochen. Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Rote Kreuz und der Rote Halbmond seien angewiesen worden, Busse und Krankenwagen vorübergehend aus dem Gebiet abzuziehen.

Schuldzuweisungen von beiden Seiten

Den Evakuierungsstopp erklärte die Regierung damit, dass sich die Rebellen nicht an die Abmachungen gehalten hätten. Sie sollen versucht haben, Gefangene zu verschleppen. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, auf einen Konvoi geschossen zu haben, der gerade einen Kreuzungspunkt an einer der letzten Rebellen-Enklaven passierte. Die türkische staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete jedoch, dass Regierungsanhänger auf den Konvoi geschossen hätten. Anadolu bezeichnete die für den Zwischenfall Verantwortlichen als "regimetreue terroristische Gruppen".

An anderer Stelle blockierten Demonstranten eine Straße, die zum Abtransport von Rebellen und Zivilisten aus Aleppo genutzt wurde. Sie forderten nach Darstellung der aufseiten der Armee kämpfenden Hisbollah die Evakuierung von zwei schiitischen Dörfern, die in der Provinz Idlib von Aufständischen belagert werden.

Wegen einer monatelangen Belagerung durch das Regime ist die humanitäre Lage katastrophal. Bilder aus Ost-Aleppo zeigen, wie Einwohner neben Trümmern mit Koffern auf den Transport warten. "Die Menschen sind alle erschöpft", berichtete ein Aktivist mit dem Namen Abdulkafi der Nachrichtenagentur dpa. "Und sie haben Angst, dass die Waffenruhe wieder scheitern könnte." Ein erster Anlauf zur Umsetzung der Evakuierung scheiterte am Mittwoch, weil neue Kämpfe ausgebrochen waren.

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