Syrien-Rückkehrer:Wenn der Staat IS-Anhängern helfen muss

Die Bundesregierung muss Kinder von Terrorkämpfern zurückholen. Die Schutzpflicht könnte auch für Erwachsene gelten.

Von Ronen Steinke

Lange haben sich die Gerichte angesehen, wie die Bundesregierung zögerte, deutsche Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" und deren Angehörige zurück ins Land zu lassen. Zu gefährlich, argumentiert das Auswärtige Amt in fast allen diesen Fällen. Nur bei Kindern machte die Regierung bislang Ausnahmen, anders als Frankreich organisierte Deutschland aber sogar für diese nur äußerst selten Rückflüge. Vor einem knappen Monat hat das Oberverwaltungsgericht Berlin nun klargestellt: Die Regierung muss dies tun. Deutsche, die als IS-Angehörige in Lagern sitzen, haben unter Umständen sogar einen Anspruch auf einen solchen Rückholservice. Dann müsse die Regierung "ihnen geeignete Reisedokumente ausstellen sowie sie unverzüglich nach Deutschland zurückführen", schrieb das Oberverwaltungsgericht am 6. November (OVG 10 S 43.19).

Wie bedeutsam dieser Richterspruch ist, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Vordergründig geht es zwar nur um Kinder: Diese könnten sich auf eine Schutzpflicht des Staates für ihr Leben berufen, hergeleitet aus Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 des Grundgesetzes. Der Schutz der Kinder könne es auch gebieten, dass der Staat ihre Mütter mit zurückholt. Dies dürfte aber erst der Anfang sein. Denn die neue Linie der Rechtsprechung ist genauso auch auf Männer anwendbar. Alle haben ein Recht auf eine Abwägung - zwischen dem humanitären Schutz des Einzelnen, der etwa in Syrien in Haft sitzt, und den übrigen deutschen Bürgern, die "ihrerseits einen aus der grundrechtlichen Schutzpflicht fließenden Anspruch darauf haben, vor solchen Mitgliedern des IS geschützt zu werden, die konkret gefährlich sind".

Auch Männer können künftig also versuche, sich darauf zu berufen, ihr Leid in syrischer Haft stehe in keinem Verhältnis zu ihrer Gefährlichkeit. Schon drei Klagen und 15 Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Bundesregierung sind nun anhängig - all dies ballt sich bei der für Konsularrecht zuständigen 34. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin.

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