Süddeutsche Zeitung

Syrien-Rückkehrer in Wolfsburg:Der verlorene Sohn

Nachdem Bilder von ihm aus Syrien veröffentlicht wurden, nahm die Polizei den Wolfsburger Ayoub B. in Deutschland fest. Seine Familie spricht von einer Hexenjagd. Ihr Brief ist eine Mahnung, mit den fixen Urteilen über angebliche Dschihadisten vorsichtig zu sein.

Von Hans Leyendecker

Der Modersohn-Becker-Ring ist eine ruhige Straße in Wolfsburg-Reislingen, im Osten der Autostadt. Eine gute Gegend mit adretten Einfamilienhäusern, die in den letzten zehn, zwanzig Jahren gebaut wurden. Viele der Anwohner arbeiten bei oder für VW. Ayoub B., der dort mit seinen Eltern und seinen Brüdern lebte, hat mal bei der VW-Tochter "Autovision" gearbeitet. Sein Vater, der aus Tunesien stammt und vor etwa vier Jahrzehnten nach Deutschland kam, macht immer noch Nachtschicht im Werk.

Am Montagnachmittag schrieb die Familie im Beisein eines Anwalts einen Brief an die "lieben Nachbarn und lieben Wolfsburger" mit einer einfachen Botschaft: "Von uns geht, ging nie und wird auch in Zukunft keinerlei Gefahr ausgehen."

Dass die Familie B. der Welt erklären muss, dass sie ungefährlich sei, hängt damit zusammen, dass in der vergangenen Woche neben Schlagzeilen mit dem Titel "Terror-Gefahr kommt immer näher" in bunten Blättern Sohn Ayoub zu sehen war. Mit einem "für Syrien und den Irak typischen Halstuch vor dem Gesicht".

Ayoub B. wurde vorigen Donnerstag vorläufig festgenommen. Am Freitag erging der Haftbefehl. Er steht im Verdacht, sich der Terrorvereinigung Islamischer Staat (IS) angeschlossen zu haben. Von Mai bis August 2014 soll er in einem IS-Lager in Syrien ausgebildet worden sein. Angeblich hat er dort Tote und Verletzte vom Schlachtfeld geborgen und er soll auch Kämpfer für den IS geworben haben.

Über den 26-jährigen Mann ist viel geschrieben worden. Richtiges und Falsches. Aus Sicht der Familie war es eine "reißerische Hexenjagd". Tatsachen seien "verdreht" worden, die Realität sei "bewusst oder unbewusst" falsch dargestellt worden. Aus einem IS-Aussteiger sei der "Kopf einer Terrorzelle" gemacht worden.

Der Brief der Familie ist eine Mahnung

Der Brief der Angehörigen von Ayoub B. ist eine Mahnung, mit den fixen Urteilen über alle, die da angeblich alle zu jeder Zeit im Dschihad sind, vorsichtig zu sein.

"Ist Ayoub B. ein Syrien-Rückkehrer?", fragt seine Familie. "Ja!"- "Hat er sich von Hasspredigern manipulieren lassen?" - "Ja!" - "Hat er seine Entscheidung bereut und durch Wort und Tat versucht, seinen Fehler wieder gutzumachen?" - "Ja."

Der verlorene Sohn war am 21. August 2014 aus Syrien zurückgekommen. Am selben Tag hat er sich bei den Behörden gemeldet und er hat Vernehmern drei Tage lang erzählt, wie das in Syrien so war, und was er gemacht hat. Wenn er die Beamten richtig verstanden hat, haben sie ihm erklärt, das werde alles nicht so schlimm. Vielleicht bekomme er sogar seinen Job zurück, sollen sie gesagt haben. Ende vergangenen Jahres übernahm die Generalbundesanwaltschaft den Fall. Es wurde ernst. Aber Gefahr drohte auch von den früheren IS-Kumpanen.

"Ayoub wurde nach seiner Flucht als Verräter bezeichnet und auf verschiedene Todeslisten gesetzt. Dieser Umstand war den Sicherheitsbehörden bekannt", schreiben die Angehörigen. Der Sohn habe in all der Zeit Morddrohungen bekommen, und auch davon habe er die Behörden in Kenntnis gesetzt. Mit Hilfe von Psychologen habe er versucht, seine "schrecklichen Erlebnisse aufzuarbeiten". Der 26-Jährige habe permanent "in Angst vor möglicher Vergeltung gelebt". Weil er aber "vielen Jugendlichen glaubhaft von seinen grausamen Erlebnissen und dem größten Fehler seines Lebens erzählt hat, konnte er sie von der Ausreise abhalten und von diesen verirrten Ideen befreien".

"Trotzreaktion aus dem Gefühl, in die Enge getrieben worden zu sein"

Die Ermittlungen liefen weiter. Dann geschahen die Morde in Paris. Medien berichteten auch über eine Wolfsburger Zelle und zeigten Bilder von Ayoub B. mit einer Kalaschnikow. Wer die Berichte las, musste meinen, der 26-Jährige sei der Kopf einer Terrorbande. Nach ersten Veröffentlichungen fragten Journalisten den LKA-Präsidenten auf einer Pressekonferenz in Hannover, warum der in der Zeitung als Rädelsführer bezeichnete Ayoub B. nicht inhaftiert worden sei. Haftgründe lägen nicht vor, lautete die Antwort.

Ein paar Stunden später wurde Ayoub B. dann doch unter anderem wegen Fluchtgefahr festgenommen. Tags darauf gab es den Antrag auf Haftbefehl, und der LKA-Präsident erklärte, seit Anfang der Woche sei man der Auffassung gewesen, dass die Voraussetzungen für einen Haftbefehl mittlerweile gegeben seien. Während der Pressekonferenz sei man in den "laufenden operativen Planungen" für die Festnahme gewesen. Zwischen dem Zeitungsbericht und der Festnahme gebe es keinen Zusammenhang.

Der Brief der Familie schließt mit dem Wunsch auf einen "fairen Prozess, ohne mediale Hetze, ohne gesellschaftliche Stigmatisierung und Vorverurteilung". Schockierend sei es gewesen, dass Ayoub B. während seiner Festnahme " in alte Verhaltensmuster zurückfiel". Als er draußen die Reporter sah, machte er eine Geste, die Verbundenheit mit dem IS symbolisieren soll. "Aus dem Gefühl, in die Enge getrieben worden zu sein, erklären wir uns seine Trotzreaktion."

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SZ vom 21.01.2015/kjan/rus
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