Süddeutsche Zeitung

Syrien:Regenbogen über Raqqa

In der syrischen Stadt soll sich eine lesbisch-schwule Kampfbrigade gegen die Terrormiliz IS gebildet haben.

Von Moritz Baumstieger

Den Tod haben die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) einkalkuliert, viele von ihnen sehnen sich danach, als Märtyrer zu sterben. Was ihnen jedoch im Jenseits droht, wenn sie im Kampf gegen die angeblich neueste Anti-IS-Brigade in Raqqa ums Leben kommen, möchten sich die Dschihadisten wohl nicht so gern ausmalen. Schon wer von einer der Frauen erschossen wird, die in den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) gegen den IS kämpfen, hat keine Chance aufs Paradies, heißt es in der Vorstellungswelt der Dschihadisten. Und jetzt gibt es auch noch "TQILA", ausgesprochen Tequila: "The Queer Insurrection und Liberation Army", auf Deutsch etwa "die queere Revolten- und Befreiungsarmee". Eine Miliz für all jene also, die eine Festlegung auf klassische Geschlechterrollen und eng definierte sexuelle Identitäten ablehnen.

Als vor wenigen Tagen eine Fotoserie auftauchte, die vermummte Militante mit einem Banner vor ausgebombten Betonbauten zeigten, die angeblich in Raqqa stehen, war die Aufregung im Netz groß. Neben einer Regenbogenfahne und einem rosa Banner, das ein Sturmgewehr und ein Anarchiezeichen schmückte, hielten die Kämpfer ein Transparent hoch: "These Faggots Kill fascists", war darauf zu lesen - "diese Schwuchteln töten Faschisten". In ihrem Gründungspamphlet teilte die Gruppe TQILA mit, Teil der "Internationalen Revolutionären Volksguerillakräfte" (IRPGF) zu sein, einer Freiwilligenarmee, der sich militante Linksradikale aus der ganzen Welt angeschlossen haben. Die Gruppe hatte sich im März 2017 gegründet, um die SDF bei der Offensive auf die IS-Hochburg Raqqa zu unterstützen.

Kern der SDF sind kurdische Milizen, die politisch der Ideologie des PKK-Führers Abdullah Öcalan nahestehen. In ihren Gebieten in Nordsyrien haben die Kurden einen quasi-autonomen Staat aufgebaut, den sie Rojava nennen und der von einer Art Rätesystem regiert wird. Die Umsetzung dieser Utopie, ihr für die Region radikales Verständnis von Gleichberechtigung von Mann und Frau und ihre streng säkulare Ausrichtung haben den Kurden Sympathien weltweit eingebracht, vor allem in linken Bewegungen. Auch etliche Deutsche kämpfen mittlerweile auf ihrer Seite; kürzlich warnte das Bundeskriminalamt in einem internen Bericht vor linken Rückkehrern, die in Rojava eine Ausbildung an der Waffe erhalten haben. 38 Männer und Frauen habe man derzeit im Visier.

Der IS verbreitete Videos davon, wie angebliche Homosexuelle von Hausdächern geworfen werden

Dass sich nun eine "queere" Miliz gebildet haben soll, würde also durchaus zur linken Unterstützerszene der Kurden passen. Und es wäre eine militante Reaktion auf die menschenverachtenden Taten des IS: Die Propaganda-Abteilung der Dschihadisten verbreitete unermüdlich Videos, in denen ihre Schergen vermeintliche Homosexuelle von Hausdächern warfen. Wer den Sturz überlebte, wurde zu Tode gesteinigt. Auch der US-Attentäter Omar Mateen, der im Juni 2016 in Orlando 49 Menschen in einem Schwulenklub erschoss, berief sich auf den IS.

Bald nach der Veröffentlichung der Fotos von TQILA meldeten einige Beobachter Zweifel an, ob die Gruppe wirklich in Raqqa kämpfe. Die US-Zeitschrift Newsweek und die kurdische Agentur AraNews wollen mit einem Mitglied namens Heval Rojhilat gesprochen haben, der aber nicht einmal verraten wollte, wie viele Mitglieder die Gruppe hat. Als ein Sprecher der SDF dementierte, dass die Gruppe offizielles Mitglied der Allianz sei, vermuteten einige, dass die linken IRPGF-Kämpfer nur einen PR-Coup landen wollten. Falls dem so ist, haben sie jedoch prominente Unterstützung aus den Reihen der Kurden: Bald veröffentlichte die Gruppe ein Foto, auf dem neben ihrem Banner auch Heval Mahir mit einer Regenbogenfahne zu sehen ist - der oberste Kommandant aller ausländischen SDF-Brigaden.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2017
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