Syrien-Rede von US-Präsident Obama:Der Weltpolizist gibt der Diplomatie eine Chance

Verhandeln und bedrohen: In seiner Rede an die Nation unterstützt US-Präsident Obama Russlands Vorschlag über eine internationale Kontrolle von Syriens Chemiewaffen. Dennoch wirbt er bei den Amerikanern um Unterstützung für einen Militärschlag.

Von Matthias Kolb

Barack Obama weiß, was die Amerikaner über eine Militäraktion in Syrien denken. "Das Land hat die Schnauze voll vom Krieg", zitiert der US-Präsident aus dem Brief eines ehemaligen Soldaten. Obama steht im East Room des Weißen Hauses und gibt sein Bestes, die Skepsis der Bürger und der Kongressmitglieder zu entkräften. Die Ansprache dauert zwar nur 15 Minuten, aber er verwendet viel Zeit für ein Argument: Es ist wichtig für Amerikas nationale Sicherheit, den Giftgaseinsatz des syrischen Diktators Baschar al-Assad zu vergelten und nicht tatenlos wegzusehen.

Denn hier liegt Obamas Problem: Alle Umfragen zeigen, dass die Amerikaner nicht bezweifeln, dass Assad Chemiewaffen gegen sein Volk eingesetzt hat - aber die große Mehrheit lehnt eine Intervention weiterhin ab. Vor Obamas Rede, die live im US-Fernsehen übertragen wurde, waren 80 Prozent nicht überzeugt, dass ein Luftschlag das Leben der Amerikaner sicher machen würde. Und, so viel vorweg, es darf bezweifelt werden, dass Obama durch diesen Auftritt das Stimmungsbild gedreht hat.

"Lassen Sie mich erklären, worum es geht", sagt Obama im gewohnt nüchternen Ton. Wenn Assad sehe, dass die Welt wegschaue, nachdem der Diktator "Kinder vergast" und ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen habe, dann würden andere Potentaten ähnlich handeln. Der jahrzehntealte Konsens, keine Chemiewaffen einzusetzen, dem sich 189 Länder angeschlossen haben, würde schwinden. Giftgas könnte auch gegen US-Soldaten verwendet oder in die Hände von Terroristen geraten, damit seien auch Partnerstaaten wie Israel, Türkei oder Jordanien gefährdet.

Obama ist skeptisch und will abwarten

Wie in den vorangegangenen TV-Interviews macht sich der US-Präsident daran, die Einwände zu entkräften. Jeglicher Vergleich zu den verlustreichen Kriegen in Irak und Afghanistan sei falsch, der Einsatz gegen Syrien werde "kurz und begrenzt" sein und es würden auch keine US-Soldaten syrischen Boden betreten. Angst vor Vergeltung sei unbegründet, da Assad an Eskalation nicht interessiert sei und Israel sich selbst verteidigen könne.

Erst nach zehn Minuten wird deutlich, dass Obamas Redenschreiber die turbulenten Entwicklungen der vergangenen 36 Stunden nicht verpasst haben: Nachdem die USA mit ihren Partnern zwei Jahre lang "auf Diplomatie und Sanktionen" gesetzt hätten, gebe es nun hoffnungsvolle Zeichen, dass sich Assad und dessen Verbündeter Russland bewegten und die Chemiewaffen unter internationale Kontrolle gestellt werden könnten. Dies, so betont Obama, sei auch dem militärischen Druck Washingtons zu verdanken.

Es sei aber "zu früh", um zu beurteilen, ob Syriens Angebot ernst gemeint sei. Also setzt der US-Präsident auf eine Doppelstrategie. Erstmals kündigt er an, den Bericht der UN-Inspektoren abwarten zu wollen. Zudem schicke er Außenminister John Kerry nach Genf, damit dieser mit dem Russen Sergej Lawrow verhandle. Er selbst werde seine telefonischen Beratungen mit Wladimir Putin fortsetzen und mit Franzosen und Briten auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats hinarbeiten - hier halten Moskau und Peking bislang ihre schützenden Hände über Baschar al-Assad.

Obamas außenpolitische Doktrin auf den Punkt gebracht

Obama verzichtet auf ein Ultimatum und verrät nicht, wie viel Zeit er den Russen und Syrern geben will, Zugeständnisse zu machen und UN-Kontrolleure ins Land zu lassen. Aber er setzt weiter auf eine Drohkulisse: Das US-Militär sei angewiesen, sich für eine Intervention bereitzuhalten. Diese würde ihre Wirkung nicht verfehlen, droht Obama: "Wir werden nicht nur Nadelstiche setzen."

Gewiss: Für den kriegsunwilligen Zauderer Obama wäre eine Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals unter UN-Aufsicht ein willkommener Notausgang aus der komplizierten Lage, in die er sich mit seiner Aussage über "rote Linien" und die Anrufung des US-Kongresses selbst gebracht hat.

Doch der 52-jährige Demokrat lässt keinen Zweifel daran, dass er weiter bereit ist, die Armee einzusetzen. Eindringlich schildert Obama mehrmals das Leiden der syrischen Kinder, die durch den Sarin-Einsatz des Regimes ("daran hat niemand Zweifel") getötet wurden. Wie bereits seine Sicherheitsberaterin Susan Rice fordert er alle erwachsenen Amerikaner auf, sich die veröffentlichten Videos über das Leiden der Opfer anzusehen.

Und auch für die mehrheitlich skeptischen Mitglieder des Kongresses hat der Präsident eine Botschaft: Die Republikaner, seine friends on the right, sollten darüber nachdenken, wie ihre verbale Unterstützung für Amerikas militärische Stärke mit der Weigerung zusammenpasse, diese nun für ein "gerechtes Anliegen" einzusetzen.

Beobachter zweifeln an Wirkung der Rede

Und die Demokraten, seine friends on the left, sollten sich an ihr Bekenntnis für Freiheit und Menschenwürde erinnern, wenn sie die Videos mit den leidenden Opfern "auf einem kalten Krankenhausboden" sehen. Es gebe Situationen, in denen Resolutionen und diplomatische Statements nicht genug seien - hier sei Handeln gefragt, falls die Diplomatie versage.

Unter den professionellen Beobachtern herrschte weitgehende Einigkeit, dass Obama durch seinen 15-Minuten-Auftritt wohl nur wenige Zuschauer vor dem Bildschirm umgestimmt habe.

Ob dies nur der typisch zynische Blick der Washingtoner Medien-Politblase ist, werden die Umfrageergebnisse der kommenden Tage zeigen.

Das Ende der Rede bringt Obamas außenpolitische Doktrin prägnant auf den Punkt. Auch er sehe Amerika nicht als Weltpolizist: "Wir können nicht jedes Übel auf der Welt bekämpfen." Aber in einem Fall wie dem syrischen Giftgaseinsatz könnten die USA, die seit 70 Jahren ein "globaler Anker der Weltpolitik" seien, nicht wegsehen.

Als Führungsnation müsse Washington bereit sein, diese schwere Last zu schultern. Obwohl der Einsatz der Mittel als auch das Risiko "überschaubar" seien, sei viel zu erreichen: Amerika könne verhindern, dass syrische Kinder vergast würden und langfristig das Leben der eigenen Kinder sicherer machen.

Genau dies mache die USA einzigartig, betont Obama, dem Amerikas Konservative oft vorhalten, dass er selbst nicht mehr an die Ausnahmestellung Amerikas in der Welt glaube. Wenn er nun im Kontext der Syrienkrise die Formulierung vom American exceptionalism verwendet, zeigt dies, dass er wirklich nichts unversucht lassen will, um für seine Überzeugung zu werben.

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