Süddeutsche Zeitung

Syrien:Rätselraten über Giftgasangriff in Aleppo

Damaskus beschuldigt Rebellen, hinter dem Angriff zu stecken. Russland bombardiert Stellungen in Idlib.

Rund einhundert Menschen sind nach einem Bericht der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana nach einem "Giftgas"-Angriff mit Atemnot in Krankenhäuser der Stadt Aleppo gebracht worden. Wer für den möglichen Gasangriff verantwortlich ist, blieb unklar - Regierung und Rebellen beschuldigten sich gegenseitig. Sana meldete "107 Fälle von Atembeschwerden" nach einem angeblichen Rebellenangriff auf die Großstadt. Die unabhängige "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" in London erklärte, 94 Menschen seien in Krankenhäuser gebracht worden. Sie seien aber mit Ausnahme von 31 Fällen wieder entlassen worden, die verbliebenen Menschen befinden sich demnach nicht in Lebensgefahr.

Ein AFP-Fotograf berichtete von Dutzenden Zivilisten mit Atemschwierigkeiten in einem Krankenhaus in Aleppo. Hauptsächlich habe es sich um Frauen und Kinder gehandelt, die mit Sauerstoffmasken versorgt worden seien. "Terroristische Gruppen haben die Wohnviertel der Stadt mit Giftgas-Raketen ins Visier genommen", zitierte Sana den Polizeichef von Aleppo, Essam al-Tschili. Es habe sich wahrscheinlich um Chlorgas gehandelt, meldeten die Staatsmedien unter Berufung auf die Regierung. Die Nationale Befreiungsfront, wichtigstes Rebellenbündnis in den Provinzen Aleppo und Idlib, wies die Anschuldigungen in einer Stellungnahme vehement zurück und sprach von "Lügen".

Die Eskalation kommt wenige Tage vor neuen Syrien-Verhandlungen im kasachischen Astana. Dort wollen von Mittwoch an Vertreter der syrischen Regierung und einiger Rebellengruppen sowie der Garantiemächte Russland, Türkei und Iran zusammenkommen. Tags darauf befasst sich der UN-Sicherheitsrat mit der Lage. Das syrische Außenministerium beschwerte sich am Sonntag in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat und die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), dass "bewaffnete Terrorgruppen" Dutzende Geschosse mit Chlorgas auf Aleppo abgefeuert hätten. Die Regierung warf ausländischen Staaten vor, den Terroristen das Gas zugänglich gemacht zu haben.

Die Aufständischen sprechen von "Lügen" der Regierung in Damaskus

Syrische Rebellen in der Umgebung wiesen die Anschuldigungen als "erfunden" zurück. Es handele sich um "Lügen, die dazu dienen sollen, die Verbrechen des Regimes gegen die syrische Bevölkerung zu überdecken", sagte ein Sprecher der Nationalen Befreiungsfront, eines Bündnisses mehrerer Rebellengruppen. Aleppo war Ende 2016 von der Regierung zurückerobert worden. Die Rebellen zogen sich in die Provinz Idlib zurück. Es ist die letzte Region, die noch unter Kontrolle von überwiegend islamistischen Rebellen steht.

Die russische und syrische Luftwaffe hat am Sonntag Rebellengebiete in Nordsyrien angegriffen. Militärsprecher Igor Konaschenkow sagte, Kampfflugzeuge hätten Stellungen von "Terroristen" attackiert, die einen Giftgasangriff auf Aleppo verübt hätten. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte waren es die ersten Angriffe auf die von Russland und der Türkei ausgehandelte Pufferzone rund um Idlib seit zwei Monaten. Sie berichtete von heftigen Explosionen westlich und südlich der Großstadt.

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SZ vom 26.11.2018 / AFP, DPA
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