Süddeutsche Zeitung

Russlands Rolle im Syrienkrieg:Putin spielt ein wirksames Spiel

In Syrien zeigt sich, wie Russland den USA immer wieder Zugeständnisse abringt: Erst macht Putin gemeinsame Sache mit Assad, dann vermittelt er. Der Westen droht, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Kommentar von Julian Hans

Als Wladimir Putin vor zwei Wochen auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg sagte, die USA seien heute wohl die einzige Supermacht ("wir akzeptieren das"), wirkte das wie eine Charme-Offensive. Tatsächlich dürfte sich im Kreml schon lange niemand mehr Illusionen darüber machen, dass die Vereinigten Staaten unerreichbar stärker sind als Russland - wirtschaftlich wie militärisch. Dass Moskau versuche, mit Washington gleichzuziehen, ist deshalb ein Missverständnis. Woher sollte die Kraft kommen?

Die Energie reicht aber gerade für etwas anderes: Die Supermacht soll keinen Schritt tun können, ohne dass Moskau dem zustimmt, am besten mitredet. Wie das geht, hat Russland jetzt im Syrien-Konflikt vorgemacht. Laut dem Weißen Haus drängte Barack Obama in der Nacht auf Donnerstag Putin bei einem Telefonat, mehr Druck auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auszuüben, damit dieser sich an die vereinbarte Waffenruhe hält. Laut dem Kreml haben die Präsidenten mehr militärische Zusammenarbeit in Syrien vereinbart. Beide Versionen zusammen ergeben einen neuen Rückzug Obamas und einen weiteren Punkt für Putin.

Washington drohte mit einem "Plan B"

Noch im Frühjahr hatte US-Außenminister John Kerry gedroht: Sollte die vereinbarte Waffenruhe nicht eingehalten werden, aktiviere Washington "Plan B" und liefere mehr Waffen an die Rebellen. Die Vereinbarung wurde nicht eingehalten. Assad wirft weiter Fassbomben. Er lässt keine Helfer in belagerte Städte, und die russischen Streitkräfte unterstützen ihn dabei.

Statt nun "Plan B" aus der Tasche zu holen, machte Washington Moskau vergangene Woche neue Angebote einer engeren militärischen Abstimmung. Der US-Geheimdienst soll Erkenntnisse über den Aufenthalt unterschiedlicher Rebellengruppen noch großzügiger mit den Russen teilen. Im Kampf gegen die al-Nusra-Front will man gar zusammenarbeiten. Die Russen fordern das seit Langem. Im Gegenzug soll Moskau noch einmal versprechen, Angriffe auf von den USA unterstützte Rebellen zu beenden und Assad dazu zu bewegen, keine Zivilisten mehr zu bombardieren.

Als Obama nach dem Giftgaseinsatz bei Damaskus im Sommer 2013 bereit war, den syrischen Diktator mit Gewalt zu stürzen, hatten die Opferzahlen des Bürgerkrieges gerade die Schwelle von 100 000 überschritten. Eine Blitzinitiative des russischen Außenministers Sergej Lawrow zur Vernichtung der Chemiewaffen wendete den Einsatz im letzten Moment ab - und befreite Obama von der Last der Entscheidung. Seitdem starben in Syrien weitere 200 000 Menschen.

Das Muster hat sich seither wiederholt: Washington zieht rote Linien, Assad überschreitet sie - und eine neue Verhandlungsrunde mit Moskau beginnt. Schlimmer als nachzugeben ist nur, Konsequenzen androhen und dann nichts tun. Wer nachgibt verliert einmal. Wer droht, und dann keine Konsequenzen folgen lässt, verliert auch beim nächsten und übernächsten Mal, weil er seine eigene Glaubwürdigkeit preisgibt.

Der Westen versucht, goldene Brücken zu bauen

In der Ukraine hat Putin mit dem gleichen Vorgehen Erfolg: Eins ums andere Mal verletzt die von Moskau unterstützte Kriegspartei die Vereinbarungen für Waffenruhen und Abzug. Doch auf Moskau fällt kein Schatten, es hat ja angeblich nur bedingt Einfluss auf die Kriegspartei. Und eins ums andere Mal macht der Westen neue Angebote, versucht zu locken und goldene Brücken zu bauen.

Putin kann als Vermittler und Terrorbekämpfer dastehen - kein Frieden ohne Russland - und gleichzeitig von dem Druck profitieren, den die Attacken der verbündeten Kriegspartei entfalten. Belohnt wird das mit immer neuen Angeboten zur Zusammenarbeit. Wer würde ein so wirksames Spiel ohne Not aufgeben?

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Quelle:
SZ vom 08.07.2016/kjan
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