Syrien:Putin hat die Wahl

Vor der Entscheidungsschlacht über die letzte Enklave des Widerstands im Bürgerkrieg hat Europa die Chance, Russland zur Mäßigung zu zwingen. Präsident Putin will Aufbaugelder für die Infrastruktur, aber deren Auszahlung sollte an Bedingungen geknüpft werden.

Von Paul-Anton Krüger

Auf viel konnten sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdoğan und der Iraner Hassan Rohani bei ihrem Dreiergipfel in Teheran nicht einigen. Nur die tausendmal bemühte Leerformel, dass es für den Krieg in Syrien keine militärische Lösung gebe, wiederholten die drei tonangebenden Mächte in ihrem Kommuniqué. Der von Erdoğan geforderten Waffenruhe verweigerten sich die Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad: Am Samstag flogen die syrische und die russische Luftwaffe Dutzende Angriffe auf Ziele in der Provinz Idlib, der letzten Hochburg der Rebellen. Militärisch dominieren dort Dschihadisten von Tahrir al-Scham, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehen.

Niemand bestreitet, dass gegen sie auch mit Waffengewalt vorgegangen werden muss. Das allerdings darf nicht zur Rechtfertigung für eine rücksichtslose Offensive gelten, die mit Flächenbombardements wie zuvor in Aleppo oder Ost-Ghouta einer Kollektivstrafe gegen die Zivilbevölkerung gleichkommt. Assad will seine Macht mit dem Blut seiner Gegner festigen. Er hat nie Zweifel gelassen, dass er den letzten Quadratzentimeter Syriens militärisch zurückerobern will. Für Evakuierungsdeals aber, wie in Aleppo oder Ost-Ghouta, ist kein Raum mehr. In Idlib wird bis zum Letzten gekämpft werden.

Seinen Plan kann Assad jedoch nur mit Hilfe Russlands durchsetzen. Putins Interessen decken sich aber nicht völlig mit jenen Assads, zumindest versucht der Kreml, diesen Anschein zu erwecken. Er hat seine Unterhändler ein Arrangement vorstellen lassen, das auf eine Aufteilung Idlibs in Zonen hinausliefe. Eine davon würde fürs Erste von der Türkei kontrolliert, eine andere von Syriens Regime. Russland würde sich als Kontroll- und Demarkationsmacht verstehen. Ankara wird seine Stellungen in Idlib kaum freiwillig aufgeben.

Für Putin ist die Offensive auch eine Drohkulisse, um sich Europa gefügig zu machen. Von den Europäern verlangt er, den Wiederaufbau der Infrastruktur zu bezahlen, die seine Kampfjets zerbombt haben. In Meseberg drohte er jüngst Kanzlerin Angela Merkel mit einer neuen Flüchtlingswelle, die ihm auch als Druckmittel gegen Erdoğan dient. Tatsächlich ist der Einfluss Europas in Syrien gering. Nicht einmal die USA erwägen ernsthaft, noch militärisch in den Konflikt einzugreifen - sofern Assad nicht erneut zu Chemiewaffen greift. Immerhin aber hat Washington in James Jeffrey einen erfahrenen Diplomaten benannt, der sich als Sondergesandter um Syrien kümmern soll.

Russland entscheidet über das Schicksal der letzten Enklave im Bürgerkrieg

Russland kann Assad vielleicht zum militärischen Sieg bomben, Frieden in Syrien kann Putin so aber nicht gewinnen. Die Bundesregierung, Europa, die USA und die Golfstaaten sollten ihm dringend klarmachen, dass es keine Unterstützung für den Wiederaufbau und keine Anerkennung einer Nachkriegsordnung in Syrien geben wird, wenn es in Idlib zu einem Massaker kommt. Ohne einen politischen Übergang unter der Ägide der Vereinten Nationen und ohne Garantien für die Sicherheit aller Syrer ist eine Rückkehr der Flüchtlinge ohnehin nicht denkbar.

Die Chancen, im Kreml Gehör zu finden, sind nicht sonderlich gut. Sie lassen sich verbessern, wenn der Westen Erdoğan drängt, entschlossen gegen Tahrir al-Scham vorzugehen. Es gibt keine realistische Alternative, um eine Katastrophe für drei Millionen Zivilisten abzuwenden.

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