Bundeswehreinsatz:Merkels erster Krieg

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Nach zehn Jahren Kanzlerschaft ist Angela Merkel mit ihrer ersten eigenen Kriegseinsatzentscheidung konfrontiert. (Foto: dpa)

Die Kanzlerin schickt Deutschland nicht aus Überzeugung in den Kampf gegen den IS. Sie hat keine andere Wahl.

Von Nico Fried, Berlin

Die Beteiligung am militärischen Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) ist nach zehn Jahren Kanzlerschaft Angela Merkels erster "eigener" Krieg. Die Einsätze der Bundeswehr in Kosovo und in Afghanistan hat Merkel von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder übernommen. Die Missionen im Kongo, vor der Küste Libanons und das bisherige Mandat in Mali waren friedenserhaltende Einsätze, die erst nach Kampfhandlungen begannen. Und am Krieg in Libyen hat Deutschland nicht teilgenommen.

Nun aber wird Merkels Regierung nach der zu erwartenden Zustimmung des Bundestages Tornados nach Syrien schicken und eine Fregatte ins Mittelmeer. Die Bundeswehr wird Stellungen der Terroristen nicht bombardieren, aber - im Wortsinne - wichtige Schützenhilfe leisten. Deutschland ist dann Kriegspartei. Und Merkel kommt in eine Rolle, die sie stets allein schon aus innenpolitischem Kalkül scheute. Sie hat, noch als Oppositionsführerin, vor dem Irakkrieg 2003 ihre Lektion über die Aversion der Deutschen gegenüber allem Militärischen gelernt.

Merkel könnte sich nun an die Spitze derer stellen, die schon länger mehr internationale Verantwortung auch mit militärischen Mitteln wahrgenommen sehen wollen, und den Einsatz in Syrien als Symbol für eine selbstbewusstere deutsche Außenpolitik verkaufen. Nur glauben würde es niemand - vor allem ihr nicht.

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Im Sog der Realpolitik bleibt Merkel keine andere Wahl

Denn das Gegenteil trifft zu. Die Beteiligung am Krieg gegen den Terror wird veranlasst durch eine realpolitische Sogwirkung, der sich Merkel schlicht nicht widersetzen konnte. Deutschland zieht nicht in den Krieg gegen den IS - es wird in ihn hineingezogen. Wenn das überhaupt ein Symbol sein soll, dann dafür, dass der außenpolitische Spielraum der Kanzlerin derzeit außerordentlich begrenzt ist.

Schon dass Merkel auf Drängen Frankreichs in ihren ersten Krieg einwilligt, ist bemerkenswert. Der erste von ihr zu verantwortende Bundeswehreinsatz führte einige Hundert Soldaten 2006 zur Überwachung der Wahlen in den Kongo, damals ebenfalls auf Druck aus Paris. Die Kanzlerin, noch neu im Amt, fühlte sich seinerzeit von Jacques Chirac überrumpelt und schwor sich, dass ihr das nicht noch einmal passiert - ein Grund dafür, dass Berlin sich Jahre später bei der eilig angesetzten Abstimmung in den Vereinten Nationen über eine von Frankreich initiierte Intervention in Libyen enthielt.

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Kanzlerin Merkel sei nach den Anschlägen von Paris in eine Sogwirkung geraten, kommentiert unser Autor, und konnte sich aus Solidarität einer deutschen Beteiligung im Kampf gegen den IS nicht entziehen.

Nach den Anschlägen von Paris aber blieb Merkel keine Wahl. Die Kanzlerin sagte den Franzosen europäische Solidarität zu - jene Solidarität also, die ihr in der Flüchtlingskrise von vielen EU-Staaten seit Monaten verweigert wird, auch von Frankreich. Merkel aber ist zu Recht willens, die Erwartungen zu erfüllen, die sich aus der deutsch-französischen Freundschaft ergeben.

Sie übersieht dafür sogar geflissentlich, dass die einzige Strategie für den Krieg gegen den IS bislang die diffuse Überzeugung ist, eine bloße Terrororganisation könne sich der geballten militärischen Wucht des Westens plus Russlands nicht auf Dauer widersetzen, obgleich das Geschichtsbuch unter T wie Taliban dazu lehrreiche Kapitel vorhält.

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Mit den geplanten Aufklärungsflügen in Syrien würde die Bundeswehr den dritten offensiven Kampfeinsatz ihrer Geschichte beginnen.

Merkel bemüht sich, einen überzeugenden Beitrag für die Anti-IS-Koalition zu leisten. Dass sie das aus Überzeugung tut, ist weniger gewiss. Für sich beurteilt die Kanzlerin mittlerweile den Ausgang all der Kriege kritisch, die der Westen zuletzt im Mittleren Osten führte, egal ob mit oder ohne deutsche Beteiligung: das Fiasko im Irak, das Scheitern in Afghanistan, die unvollendete Intervention in Libyen. Wobei aus ihrer Sicht nicht in jedem Fall militärischer Gewalt die Berechtigung fehlte, aber immer die Durchhaltefähigkeit für den politischen Aufbau danach.

Die Barbarei des IS lässt zumindest keine moralischen Zweifel zu

In Zeiten wie diesen aber ist Merkel in vielen Bereichen ihrer Außenpolitik zu Konzessionen gezwungen. Frankreich militärisch zu helfen gehört da noch zu den leichteren Aufgaben. Die Türkei für eine andere Flüchtlingspolitik zu gewinnen oder Russland als Quasi-Verbündeten in Syrien zu akzeptieren führt hingegen selbst eine Pragmatikerin wie die Kanzlerin an die Grenze ihrer Flexibilität. Fehlt nur, dass die Recce-Tornados der Bundeswehr ihre Aufklärungsbilder auch den Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad zur Verfügung stellen sollen.

Erleichtert wird Merkels erster Krieg allein dadurch, dass die Barbarei des IS keine moralischen Zweifel an der Notwendigkeit zulässt, diese bekämpfen zu müssen. Merkel sowie ihren Ministern Ursula von der Leyen und Frank-Walter Steinmeier erlaubt das zumindest innenpolitisch, Grenzen zu überschreiten, die sie sich selbst gesetzt haben. Denn für die Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Kurden warb die Regierung 2014 auch mit dem Argument, so solle der Einsatz der Bundeswehr gerade verhindert werden.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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