Syrien-Politik der USA:Warum Obama vor seinem Versprechen zurückschreckt

Warum zögert Barack Obama ein militärisches Eingreifen in Syrien hinaus? Das fragen sich seit Bekanntwerden des mutmaßlichen Giftgas-Massakers durch das Assad-Regime viele Beobachter. Doch der US-Präsident hat gute Gründe für seine Hinhalte-Taktik.

Von Johanna Bruckner

Barack Obama weiß um die Macht der Bilder. Und er weiß sie gezielt zu nutzen, um Sympathien zu gewinnen - das hat er in der Vergangenheit gezeigt. Zum Beispiel, als der US-Präsident nach gewonnener Wiederwahl im vergangenen November ein symbolträchtiges Foto mit Ehefrau Michelle auf Twitter postete, versehen mit der schlichten Unterschrift "Four more years". Der Eintrag wurde innerhalb weniger Stunden eine halbe Million Mal geteilt. Ein Dreivierteljahr nach diesem (Twitter-) Triumph bringt nun die Macht der Bilder den mächtigsten Mann der Welt unter Zugzwang.

In der vergangenen Woche gingen Bilder aus Syrien um die Welt, die einen verheerenden Giftgas-Anschlag des Assad-Regimes gegen das eigene Volk dokumentieren sollen. Medien aus aller Welt veröffentlichten Fotos von Dutzenden Leichen, darunter auch viele Kinder. Manche Gesichter zeigen den furchtbaren Todeskampf, den die Opfer durchleiden mussten.

Noch immer ist nicht bewiesen, dass tatsächlich die syrische Regierung für das Massaker mit mutmaßlich Chemiewaffen verantwortlich ist. Doch auch ohne endgültigen Beweis ist der öffentliche Druck auf den amerikanischen Präsidenten in der vergangenen Woche derart gestiegen, dass er sich am gestrigen Samstag gezwungen sah, eine militärische Intervention zumindest wieder in den Bereich des Möglichen zu rücken. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Obama den Einsatz von Chemiewaffen als "rote Linie" definiert und das Assad-Regime und andere am Syrien-Konflikt beteiligte Akteure gewarnt: Wer diese überschreite, müsse mit "enormen Konsequenzen" von Seiten der Vereinigten Staaten rechnen.

Die Einteilung in Gut und Böse ist nicht mehr so einfach

Syrien-Politik der USA: Ein syrisches Paar trauert um die Opfer des Giftgas-Massakers.

Ein syrisches Paar trauert um die Opfer des Giftgas-Massakers.

(Foto: AFP)

Doch in den vergangenen zwölf Monaten ist viel passiert - außenpolitisch und innenpolitisch -, das den Präsidenten nun "zögern" lässt, wie Beobachter in Deutschland titeln. "Fakten sammeln statt Truppen schicken" sei derzeit die US-Devise heißt es an anderer Stelle. Doch was hält Obama zurück?

Da ist zum einen die Lage vor Ort in Syrien. Zwar ist Russland bislang das einzige Land, das sich der Verschwörungsthese des Assad-Regimes öffentlich angeschlossen hat, wonach Oppositionelle den Giftgas-Anschlag selbst inszeniert haben sollen, um den moralischen Druck auf den Westen zu erhöhen. Doch die Einteilung in Gut, Rebellen, und Böse, Regime, ist längst nicht mehr so einfach. Auch die Aufständischen überschreiten von der internationalen Staatengemeinschaft gesetzte ethische Grenzen des gewaltsamen Konflikts.

So sind mutmaßliche Gräueltaten von Aufständischen an Regierungssoldaten dokumentiert. Und um in der andauernden Auseinandersetzung weiter bestehen zu können, soll die Free Syrian Army, eine der größten bewaffneten Oppositionsgruppen, mittlerweile auch Unter-17-Jährige rekrutieren. Die Vereinten Nationen befürchten nach einem Bericht der Washington Post, die Rebellen könnten das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien benutzen, um Heranwachsende für den bewaffneten Kampf gegen Assad anzuheuern. Dem Bericht zufolge bekommen die Familien der Jungen im Gegenzug ein monatliches Gehalt sowie Vergünstigungen im Camp, beispielsweise eine bevorzugte Behandlung bei der Nahrungsmittel-Ausgabe.

Nicht zuletzt gewinnen in der syrischen Opposition radikal-islamische Kräfte an Macht. Sollte das Assad-Regime mit militärischer Hilfe der USA gestürzt werden, stünde Amerika einmal mehr vor der Herausforderung, diese Kräfte in eine neue Regierung einbinden zu müssen. Dass das schwierig bis unmöglich ist, zeigt die Situation in Afghanistan. Kann es sich Obama leisten, nach Irak und Afghanistan ein weiteres militärpolitisches Unterfangen einzugehen, bei dem nicht abzusehen ist, welches Engagement - zeitlich, personell und finanziell - er seinem Land damit aufbürdet?

Amerikaner wollen keinen weiteren Krieg im Nahen Osten

Die innenpolitische Antwort lautet: nein. Zwar gibt es in den USA mächtige Stimmen, die für eine Militärintervention plädieren. So forderte der einflussreiche Senator und ehemalige Präsidentschafts-Herausforderer Obamas John McCain nach Bekanntwerden des Giftgas-Massakers, der Präsident müsse jetzt handeln, es gehe um die Glaubwürdigkeit Amerikas. "Man kann sich diese Bilder nicht anschauen, ohne tief bewegt zu sein. Wollen wir das einfach weitergehen lassen?", fragte McCain.

Doch die meisten seiner Landsleute sind gegen ein weiteres militärisches Engagement ihres Landes. Glaubt man einer aktuellen Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters, ist weit mehr als die Hälfte der Amerikaner (60 Prozent) der Ansicht, die USA sollten sich aus dem Syrien-Konflikt raushalten. Lediglich neun Prozent sprachen sich demnach für ein Eingreifen aus. Immerhin 25 Prozent der Befragten befürworteten einen Militäreinsatz, sollte sich herausstellen, dass das syrische Regime tatsächlich Chemiewaffen gegen die eigenen Bevölkerung einsetzt. Doch immer noch fast 50 Prozent lehnten eine Militäroperation auch unter dieser Voraussetzung ab.

Die Zeiten, in denen sich die Amerikaner von vermeintlichen Bild-Beweisen und pathetischen Reden beeinflussen lassen, scheinen vorbei zu sein. 2003 hatte die damalige US-Regierung den Irak-Krieg unter anderem mit Aufnahmen gerechtfertigt, die belegen sollten, dass das Regime von Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt. Später hatten sich diese Belege als falsch herausgestellt.

Zu präsent sind bei den Amerikanern wohl andere Berichte und Bilder, die in erschreckender Regelmäßigkeit die Berichterstattung bestimmen: Die von im Kriegseinsatz im Irak und in Afghanistan gefallenen amerikanischen Soldaten.

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