Süddeutsche Zeitung

Mein Leben in Deutschland:Wenn jeder jeden quält

Auch in der arabischen Welt kommt es zu Mobbing, in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft. Aber es ist nur ein Problem von vielen, wie unser Kolumnist berichtet.

Von Yahya Alaous

Das Phänomen des Mobbings findet in unseren orientalischen Gesellschaften wenig Beachtung. Als Vokabel ist "Mobbing" neu in der arabischen Sprache; seine Übersetzung ins Arabische kam meist von einem Übersetzer oder einem Sprachexperten, da es häufig in westlichen Filmen oder Dramen verwendet wird. Es gibt auch keinen Konsens, dass das Wort "Tanamor", das im Arabischen verwendet wird, das Wort Mobbing im Englischen oder Mobbing im Deutschen ausdrückt.

Das Fehlen des Ausdrucks in unserer Gesellschaft bedeutet jedoch nicht das Fehlen des Phänomens selbst. Mobbing oder Verhaltensweisen, die zu Mobbing führen, existieren wie Wasser und Luft in unserem täglichen Leben, so dass viele Menschen es in vielen Situationen nicht einmal als Übergriff empfinden.

Schweigen und Resignation

Viele Frauen glauben, dass Beleidigungen durch ihre Ehemänner etwas Natürliches sind und vielleicht zu den Rechten des Mannes gehören, so dass sie darüber schweigen. Ihre Resignation, sich dagegen zu wehren, oder sogar ihr Unwissen, sich dagegen wehren zu können, sind bedingt durch soziale Faktoren, die Mobbing zu einem allgemeinen Muster werden lassen. Schüler sind autoritären Praktiken von Lehrern ausgesetzt.

Yahya Alaous

ist syrischer Journalist. Der heute 47-Jährige saß von 2002 bis 2004 im Gefängnis. Anfang des Jahres flüchtete er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern über den Libanon nach Deutschland. Seit fünf Monaten lebt er mit seiner Familie in Berlin. In der SZ schreibt Yahya Alaous regelmäßig über "Mein Leben in Deutschland" (die erste Kolumne finden Sie hier).

Übersetzung: Jasna Zajcek

Manchmal wird auch ein Lehrer von seinen Schülern gemobbt, aber die häufigste und am meisten verbreitete Form des Mobbings in verschiedenen Gesellschaften ist, dass ein Schüler durch einen oder mehrere Schüler gemobbt wird. Es gibt dafür viele Gründe: sei es aufgrund einer Schwäche oder seiner Jugend, seinem Wuchs, seinem Aussehen, einer Krankheit oder Behinderung. Auch können Faktoren, die mit Herkunft, Hautfarbe oder Religion zusammenhängen, Mobbing bedingen.

Meine persönliche Erfahrung aus der Schulzeit mit dem, was ich heute "Mobbing" nenne, ist reichhaltig. Ich habe viele Details vergessen, aber einiges ist mit der Ausweitung der Diskussion über das Mobbing in den letzten Jahren zurückgekommen.

Woran ich mich erinnern kann, ist, dass es ein wechselseitiger Prozess war, manchmal war ich ein Opfer von Mobbing, weniger oft war ich ein Täter, in beiden Fällen fand ich selten jemanden, der mir half, das Mobbing zu vermeiden oder es nicht mehr auszuüben. Aber was mir aus dieser Phase am meisten im Gedächtnis geblieben ist, ist die Art des Mobbers, die sich mit den Zeiten und Umständen veränderte. In den achtziger Jahren war der mobbende Schüler der Stärkste oder der Böseste, in den neunziger Jahren wurde es der aus der reichsten Familie stammende Schüler. Heutzutage ist ein dritter Typ hinzugekommen: der Mobber als Sohn der einflussreichsten Familie.

Eltern, die das Mobben befördern

Sicherlich werden viele die Handlungen der Eltern und ihren Einfluss auf ihre Kinder nicht gerne als Mobbingerziehung oder Anleitung zum Mobbing bezeichnen. Doch durch viele Handlungen, die sich hinter Worten wie "Fürsorge" oder "Erziehung" verstecken, fördern die Eltern die Mobbing-Mentalität unter ihren Kindern. In unserer patriarchalisch geprägten Gesellschaft werden nicht selten Brüder ermutigt, ihre Schwestern zu Hause zu mobben, dann, weil sie es gelernt haben, ihre Schulkameraden. Sollten aber ihre Kinder Opfer von Mobbing werden, so rasten sie komplett aus - und am Ende werden die Eltern nicht selten selbst Opfer des Mobbings ihrer Kinder.

Doch die gefährlichste Art des Mobbings in einem Land wie Syrien ist das Mobbing des Staates gegen die Bürger, das mit der Zeit zu einem systematischen Mobbing wird, das sich in der Gesellschaft fortsetzt. Erst wurde es zu einem der Werkzeuge des Staates, um die Bürger abzuschrecken, einzuschüchtern und so auf Regierungslinie zu halten - so dass jede autorisierte Person zum Mobber wurde. Die Beispiele sind vielfältig: Der Polizist schikaniert den Bürger, der Grundbesitzer schikaniert den Mieter, der Busfahrer schikaniert die Fahrgäste, der Unternehmer schikaniert den Arbeiter, der Besitzer der Bäckerei schikaniert die Angestellten, diese wiederum die Kunden.

Wenn man hinterhältige Aktionen, die dem Einschüchtern und der Drangsalierung von Menschen dienen, Mobbing nennt, dann kann ich sagen, dass wir in einer kompletten Mobbing-Kultur aufgewachsen sind. Schließlich wurde es ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, ohne dass wir ihm Beachtung schenkten.

Nicht nur in der Schule

Das Phänomen des Mobbings scheint ein Phänomen der wohlhabenderen Gesellschaften zu sein, wenn man bedenkt, dass es in den weniger wohlhabenden Gesellschaften noch ernstere Krisen gibt. Reiche Gesellschaften haben begonnen, vor der Ausbreitung dieses Problems zu warnen, sie brachten es mit den hohen Raten von Selbstmord, Isolation oder psychischen Erkrankungen unter Schülern in Verbindung.

Aber Mobbing-Verhalten ist nicht auf Schüler beschränkt, es gibt andere Arten von stillem Mobbing, über das hier selten gesprochen wird. Der Mitarbeiter, der sich weigert, in einer anderen Sprache außer auf Deutsch zu sprechen, übt eine Art Mobbing gegen den Ausländer aus. Die abschätzige Betrachtung verschleierter Frauen ist ein Mobbing-Verhalten, das Klima der Angst, das der Vorgesetzte verbreitet, indem er seinen Mitarbeitern das Gefühl gibt, dass sie ständig von Entlassung oder durch einen Konkurrenten bedroht sind, das ist ein Mobbing-Verhalten.

Aber vielleicht ist es in unseren orientalischen Gesellschaften nicht so. Ich möchte damit nicht die Bedeutung von Mobbing in einer Gesellschaft wie der syrischen verringern, aber ich möchte sagen, dass Mobbing in solchen Fällen nicht als Hauptursache angesehen wird, wenn psychische Probleme unsere Jugend zermürben. Unsere Schüler haben einfach tausend andere Gründe, psychisch krank zu werden oder an Selbstmord zu denken, als Mobbing. Bei der Vielfalt an Problemen und Bedrohungen könnten sie bereits, wenn es das gibt, eine Art Immunität gegen Mobbing entwickelt haben, sonst, so befürchte ich, wären diese Generationen und weitere Generationen verloren.

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