Syrien:Luft für Geländegewinne

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Russland lässt die türkische Armee gewähren, wohl um Ankara zu besänftigen. Eine direkte Konfrontation ist damit fürs Erste abgewendet.

Von Moritz Baumstieger, München

Syrische Flüchtlinge versuchen sich vor den Kämpfen in der Region Idlib in Sicherheit zu bringen. (Foto: AP)

Am Sonntag kam Syriens Armee zu dem Schluss, dass es so nicht weitergehen könne. In der Provinz Idlib drohten ihr die Erfolge zu entgleiten, die sie seit Beginn der Offensive im Dezember errungen hatte: Die türkische Armee zerstörte durch Drohnenschläge syrische Panzer und Armeekonvois, griff Soldatenverbände an, Ankaras offizielle Zahlen klangen gewaltig: Mehr als 2200 syrische Soldaten, 103 Panzer und acht Hubschrauber wollte man "neutralisiert" haben.

Diese Angaben sind nicht überprüfbar, mögen teils übertrieben sein. Unbestreitbar ist aber, dass die Türkei den Rebellen nach Wochen herber Verluste erstmals Geländegewinne ermöglichte. Die Stadt Sarakib etwa an der strategisch wichtigen Autobahn M5, die das Regime Anfang Februar erobert hatte, war nun wieder unter Kontrolle der Aufständischen, die direkte Straßenverbindung zwischen Damaskus und Aleppo ein weiteres Mal unterbrochen.

Also ließ Damaskus ein Flugverbot für den Norden des Landes verkünden. "Jedes Flugobjekt, das den syrischen Luftraum verletzt, wird als ein feindliches betrachtet, das abzuschießen ist", hieß es. Kurz darauf regneten tatsächlich Trümmer zweier Jets über Idlib herab - nur waren es keine von türkischen Flugzeugen, sondern solche von syrischen SU-24. Getroffen hatte nicht die syrische Luftabwehr, die schon so manchmal Freund und Feind verwechselt hat, sondern die türkische.

Mit seiner Offensive vom Wochenende hat Ankara nach Ansicht von Experten wie dem am Middle East Institute in Washington forschenden Charles Lister oder dem in Syrien geborenen Autor Hassan Hassan nicht nur Einheiten der syrischen Armee zerstört. Sondern auch eine Schutzbehauptung, die seit Jahren in westlichen Hauptstädten gepflegt wurde: Ein Eingreifen in Syrien - etwa durch die Errichtung von Flugverbotszonen über den Rebellengebieten, in denen Hunderttausende Zivilisten unter den Bombardements des Regimes litten - sei kaum möglich, die Luftabwehr des Regimes dafür zu stark. Und seit Beginn der russischen Intervention im Jahr 2015 wurden Rufe nach militärischen Schutzmaßnahmen, die hätten verhindern können, dass nun wieder Syrer an Europas Grenzen drängen, meist damit beantwortet, dass ein Eingreifen zu einem Konflikt mit Moskau führen würde, das den Luftraum über Syrien beherrscht.

An diesem Wochenende jedoch blieb Russlands Luftwaffe am Boden - und ließ die türkische Armee in Syrien gewähren. Manche Beobachter neigen zu der Ansicht, dass Moskau Ankara so etwas besänftigen wollte, nachdem Ende vergangener Woche 36 türkische Soldaten bei einem Luftangriff starben, bei dem Russlands Rolle bestenfalls mit unklar umschrieben ist. Andere weisen darauf hin, dass Russland die Türkei in den vergangenen Jahren trotz des Konflikts in Syrien umworben und aus der Nato zu lösen versucht hat.

Mit Syrien eng verknüpft ist der Konflikt in Libyen: Dort trat der UN-Sondergesandte zurück

Auf jeden Fall aber scheint Russland kein Interesse daran zu haben, den Konflikt um Idlib in einen regionalen Krieg ausarten zu lassen: Der teils hilflosen syrischen Armee kamen Moskaus Truppen am Wochenende kaum zu Hilfe. Berichten zufolge zwingt Moskau seine syrischen Verbündeten sogar, Konvois zu den türkischen Beobachtungsposten passieren zu lassen, die bis Ende 2019 an der Waffenstillstandslinie rund um die damalige "Deeskalationszone" von Idlib lagen und nunmehr von syrischen Truppen umschlossen sind.

Mit dem Beginn der neuen Woche hat die russische Luftwaffe wieder Starts durchgeführt. Auch die syrische Armee ist an manchen Stellen etwas vorgedrungen - die Stadt Sarakib etwa war am Montag ein weiteres Mal umkämpft. Später rückte dort die russische Militärpolizei ein - vermutlich im Kalkül, dass die Türkei ihre Offensive einstellt. Eine direkte Konfrontation der beiden Mächte scheint jedoch aufs Erste abgewendet, wenn Recep Tayyip Erdoğan an diesem Donnerstag nach Moskau reisen wird, um mit Wladimir Putin über Idlib zu verhandeln. Erdoğan sagte am Montag, er werde Putin treffen, um "weiteres Blutvergießen zu verhindern".

Vielleicht werden die Präsidenten auch über das zweite Schlachtfeld sprechen, auf dem sie unterschiedliche Seiten unterstützen - Libyen ist dieser Tage eng mit Syrien verknüpft. Seit Wochen häufen sich Berichte, dass Erdoğan Syrer als Söldner nach Libyen schickt, am Montag reiste eine Gruppe in die Gegenrichtung: Machthaber Baschar al-Assad empfing eine der raren ausländischen Delegationen, dann wurde die Wiedereröffnung der libyschen Botschaft angekündigt. Den Vertrag unterzeichneten aber nicht Vertreter der international anerkannten und von Erdoğan unterstützen Regierung, sondern Gesandte von Khalifa al-Haftar - dem selbsternannten Generalfeldmarschall und Verbündeten Moskaus.

Mitten in dem Konflikt trat nun auch noch der UN-Sondergesandte für Libyen zurück. Ghassan Salame begründete dies mit seiner Gesundheit und "viel Stress". Er erklärte aber auch, zweieinhalb Jahre habe er versucht, die rivalisierenden Lager zu einen und Einmischung aus dem Ausland zu verhindern.

© SZ vom 03.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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