Syrien-Krieg:Ernste Krise zwischen Moskau und Ankara

Das Nato-Mitglied Türkei schießt einen russischen Kampfjet ab, der die Grenze überflogen haben soll.

Von F. Nienhuysen und M. Szymanski, Istanbul/München

Der Abschuss eines russischen Militärflugzeugs hat zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Russland und dem Nato-Mitglied Türkei geführt und damit auch zu einer Belastungsprobe für das westliche Verteidigungsbündnis. Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte mit harschen Worten und sprach mit Blick auf die Türkei von einem "Stoß in den Rücken, den uns die Helfershelfer des Terrorismus versetzt haben". Der Vorfall gehe über den Rahmen des gewöhnlichen Anti-Terror-Kampfes hinaus und werde "ernsthafte Konsequenzen" haben, kündigte Putin an, der sich in Sotschi am Schwarzen Meer aufhielt. Als erste Reaktion sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow seinen für diesen Mittwoch geplanten Besuch in Ankara ab. Seinen Landsleuten empfahl er einen Verzicht auf Reisen in die Türkei, die eines der beliebtesten Urlaubsländer der Russen ist.

Die Türkei hatte zuvor an der Grenze zu Syrien einen russischen Kampfjet des Typs Su-24 abgeschossen. Nach Darstellung der türkischen Regierung hatte das Flugzeug mehrmals den türkischen Luftraum verletzt, es sei deshalb innerhalb von fünf Minuten auch zehn Mal gewarnt worden. Das US-Militär bestätigte diese Version. Russland wies dies zurück und erklärte, der Kampfjet habe niemals den syrischen Luftraum verlassen und damit auch nicht die Grenze zur Türkei überflogen.

Die Nato berief noch für den späten Dienstagnachmittag seine Botschafter zu einem Sondertreffen ein, wo die Türkei ihre Position darstellen wollte. Putin sagte dazu, dies sehe wie ein Versuch der Türkei aus, "das nordatlantische Bündnis in den Dienst der Terroristen zu stellen".

Unklar war zunächst das Schicksal der beiden russischen Piloten. Ein Reporter des Nachrichtensenders CNN Türk hatte nach eigenen Angaben vom Vizekommandeur der turkmenischen Truppen, Alpaslan Çelik, erfahren, dass dessen Kämpfer auf die beiden Piloten geschossen hätten, als diese versuchten, sich mit Fallschirmen zu retten. Sie sollen dem Kommandanten zufolge tot sein. Der Kreml erklärte zunächst, er habe keinerlei offizielle Informationen über das Schicksal der Piloten.

Vladimir Putin

Russlands Präsident Wladimir Putin wirft der Türkei vor, sie wolle die Nato "in den Dienst der Terroristen" stellen.

(Foto: Maxim Shipenkov/AP)

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf türkische Regierungskreise, die Piloten seien noch am Leben. Russlands Streitkräfte fliegen seit Ende September Luftangriffe in Syrien. Von Anfang an gab es Streit mit der Türkei über die Ziele der Angriffe. Ankara will das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad beenden, Moskau dagegen will es möglichst stützen. Der Westen wirft Russland vor, den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat nicht ernsthaft genug zu führen und stattdessen gemäßigte Rebellengruppen anzugreifen, die ihrerseits die IS-Dschihadisten bekämpfen. Nach dem Terror in Paris gab es zuletzt jedoch Signale einer engeren Zusammenarbeit im Anti-Terror-Kampf in Syrien und einer besseren Koordination der Luftangriffe.

Frankreichs Staatschef François Hollande traf am Dienstag in Washington zu einem Gespräch mit US-Präsident Barack Obama ein, in dem er auch für eine engere Koalition mit Russland werben wollte. Hollande wird diese Woche auch nach Moskau reisen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte nach dem Abschuss des russischen Kampfjets deshalb vor Rückschlägen und einer Belastung der Friedensbemühungen im Syrienkonflikt.

Das türkisch-russische Verhältnis hatte sich bereits in den vergangenen Tagen deutlich verschlechtert. Die Türkei wirft Russland vor, an der Seite der syrischen Regierungstruppen gegen die Turkmenen im Nordwesten Syriens vorzugehen. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht dieser Volksgruppe, die gegen die Soldaten von Syriens Machthaber Assad kämpft. In den vergangenen Tagen hätten die Angriffe Russlands die Turkmenen erheblich geschwächt. 1500 Menschen seien bereits vor den Gefechten in die Türkei geflohen. Ankara hat den russischen Botschafter bereits einbestellt und verwarnt. Die liberale türkische Zeitung Hürriyet berichtete in ihrer Montagsausgabe über ein Treffen von Premier Ahmet Davutoğlu mit Vertretern des Militärs und der Sicherheitsbehörden. Davutoğlu wird mit den Worten wiedergegeben, die Behörden seien instruiert worden, auf Bedrohungen an der Grenze sofort zu reagieren.

Russlands Außenminister Lawrow zog erste Konsequenzen aus dem Abschuss und stellte die Türkei als Land dar, in dem es eine wachsende Terrorgefahr gebe. Er sprach von einer "kritischen Masse von Entwicklungen auf türkischem Gebiet", die nicht geringer sei als in Ägypten. Lawrow spielte auf den Bombenanschlag auf eine russische Passagiermaschine über dem ägyptischen Sinai an, bei dem alle 224 Insassen starben. Anschließend untersagte Russland Flüge nach Ägypten. Vor wenigen Tagen aber deutete Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew bereits an, auch andere Länder kämen womöglich für ein Verbot infrage. Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei könnte dies nun näher rücken.

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