Süddeutsche Zeitung

Herfried Münkler über den Syrien-Konflikt:"Dass die Russen involviert sind, ist auch von Vorteil"

Wie Eltern, die ihre Kinder verprügeln: Politikwissenschaftler Herfried Münkler kritisiert im Syrien-Konflikt die westlichen Alliierten. Er rät dazu, mit Putin über Interessen zu sprechen.

Interview von Thomas Jordan

Seit 2011 ist Syrien im Kriegszustand. Amerikanisches, französisches und britisches Militär beteiligt sich an den Kämpfen, ebenso russische und syrische Kräfte. Auch Iran hat Elite-Truppen in die Region geschickt, dessen Erzfeind Israel hat prompt reagiert. Die syrische Gesellschaft ist tief gespalten. Oppositionelle Kräfte kämpfen gegen die Soldaten des Machthabers Baschar-al Assad. Die Situation in Syrien ist so kompliziert wie kaum ein anderer Konflikt der vergangenen Jahrzehnte. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat sich in seinem jüngsten Buch mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt. Diesen vergleicht er mit dem Syrien-Konflikt, was die Vielfalt der Akteure und der Konfliktlinien angeht.

SZ.de: In diesen Tagen beraten die EU-Außenminister in Luxemburg über das weitere Vorgehen in Syrien. Welche Chancen gibt es, dass sie einen Schritt weiterkommen?

Münkler: Im operativen Sinne glaube ich, werden sie nicht besonders weiterkommen. In den letzten Tagen hat dieser Konflikt wieder eine zusätzliche Komponente gewonnen als eine Konfrontation zwischen Russen und Amerikanern. Europa hat keine klar erkennbare Linie im Hinblick auf Syrien. Ich glaube, dass kurzfristig angesichts der Komplexität des Konflikts nichts zu erwarten ist.

Lässt sich ein so komplizierter Konflikt wie in Syrien überhaupt noch politisch lösen oder sind militärische Interventionen irgendwann nicht mehr zu vermeiden?

Die Suggestion der militärischen Lösung ist oft eine größere als ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit. Oft verschärft sie die Probleme mehr, als dass sie sie löst. Siehe Syrien.

Sie meinen den jüngsten Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf Giftgasfabriken. Deutschland hat dabei von vornherein klargestellt, sich nicht zu beteiligen.

Das war nicht verkehrt, weil dieses militärische Engagement ja überhaupt keine strategische Dimension hatte, sondern konzipiert war als eine pädagogische Maßnahme gegenüber Assad. Das ist sozusagen das Verhalten aus der Fassung geratener Eltern, die ihre Kinder verprügeln. Aber ob die dadurch bessere Menschen werden, oder klüger, das ist die Frage.

Auch mit Blick auf Ihr Buch über den Dreißigjährigen Krieg: Wo wäre denn Ihrer Meinung nach in der verfahrenen Situation im Syrien-Konflikt anzusetzen?

Es gilt gleichermaßen für Europa im Jahr 1618 wie für Syrien heute: Es ist erstens ein Konflikt um eine innenpolitische Machtfrage: Bei wem liegt die Macht? Bei einem Einzelnen und seinem Anhang, oder bei einer breiteren Gruppe? In Prag beim böhmischen Adel und in Syrien bei der Zivilgesellschaft? Zweitens wird das Ganze sofort überlagert durch eine konfessionelle Trennlinie. Vormals zwischen Protestantismus und Katholizismus, und hier: zwischen Sunniten und Schiiten. Drittens geht es um die Verschiebung von Staatsgrenzen, die man für zufällig, dynastisch oder durch den Westen diktiert begreift. Und viertens geht es um die Frage, welche Macht in der Region das Sagen hat. Wenn man zu einem stabilen Frieden kommen will, muss man diese vier Ebenen auseinanderlegen, einzeln verhandeln, Kompromisse finden. Und dann noch schauen, dass diese Kompromisse auf diesen vier Ebenen sich gegenseitig nicht blockieren.

Sie entwerfen ein äußerst komplexes Modell des internationalen Interessenausgleichs. Wer könnte das denn umsetzen?

Ab 1643/44 sind unterschiedliche Akteure, die selbst am Krieg beteiligt sind, zu der Erkenntnis gekommen: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen. Sie unternehmen dann verschiedene Initiativen.

Was heißt das für die Situation in Syrien heute?

Man kann sich vorstellen, dass die Europäer ihren Einfluss auf Saudi-Arabien, vielleicht die Deutschen ihren Einfluss auf Iran geltend machen. Dass man versucht, mit den Russen ins Gespräch zu kommen und dass man zunächst mal unabhängig von den Kriegsparteien auslotet, was sich die einzelnen politischen Parteien so vorstellen. Wie die Ordnung, nicht nur im Hinblick auf Syrien, sondern auf den gesamten nahöstlichen Raum aussehen soll. In dem Raum zwischen der türkischen Südgrenze bis runter zum Jemen, von Mesopotamien bis in die Wüste Libyens können auch ohne Weiteres 30 Jahre Krieg stattfinden und es ist nicht mal gesagt, das danach Schluss wäre. Je früher man die Konflikte eindämmt, und die Probleme, die ihnen zu Grunde liegen löst, desto besser.

Wie wollen Sie in dieser Situation Russland wieder an einen Tisch mit dem Westen bekommen?

In mancher Hinsicht ist der Umstand, dass die Russen involviert sind, auch von Vorteil. Weil man da einen Akteur hat, der auf Assad viel mehr Einfluss als der Westen hat. Der Westen kann ja immer nur mit Sanktionen und Marschflugkörpern versuchen, Assad zur Räson zu bringen. Mit Russland hat man einen Akteur, der Interessen hat. Und Interessen sind etwas, das sich sehr viel besser ausverhandeln lässt. Etwa im Hinblick auf Einflussgebiete. Weil man mit den Russen reden kann auf einer Ebene, wo Wertefragen keine zentrale Rolle spielen, sondern man mit den ziemlich kalten Köpfen Lawrow und Putin einfach nur über Interessen sprechen muss. Werte sind dagegen nicht kompromissfähig.

Sie schlagen einen Deal mit Russland zur Lösung des Syrien-Konflikts vor?

Wie motiviert man denn die Leute, an den Verhandlungstisch zu kommen? Ich glaube, dass da die bislang erfolgten Mittel nicht besonders überzeugend sind. Dass man mit den Russen eher in ein System der Gratifikation hineinkommen muss, als mit weiteren Sanktionsdrohungen zu arbeiten. Das ist eine Linie, die eine höhere Flexibilität und eine höhere strategische Reichweite hat.

So wie die EU mit Erdoğan mal einen Deal über die Wiederherstellung der Grenzsicherung mit der Türkei geschlossen hat, so müsste man mit den Russen ins Gespräch kommen. Denn sie sind auf absehbare Zeit der Schlüssel zur Veränderung der Situation. Wer dafür keine Strategie hat, der ist letztlich aus dem Spiel.

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