Nahostkonflikt:Israel greift Syrien massiv an

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Mit Luftwaffe und Bodentruppen greift Israel Syrien an. In Qamischli in der Kurdenregion hat ein Junge eine nicht explodierte Granate gefunden. (Foto: DELIL SOULEIMAN/AFP)

Kampfjets fliegen Hunderte Angriffe und zerstören unter anderem Luftwaffenbasen und Depots. In Damaskus übernimmt eine Übergangsregierung, die bis März 2025 im Amt bleiben will.

Von Tomas Avenarius, Amman

Israel hat auf den Umsturz in Syrien am Wochenende mit Luftangriffen unter anderem auf Luftflotten, Marineschiffe und Waffenlager in dem Nachbarland reagiert. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London berichtete am Mittwochmorgen von „mindestens 310“ solcher Angriffe in den vergangenen zwei Tagen. Am Abend teilte die Armee mit, es seien mehr als 480 Ziele in Syrien angegriffen worden.

Die Militärschläge zeigen, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu Ernst macht mit der Neugestaltung der Region – zum Vorteil Israels. „Ich verändere das Gesicht des Nahen Ostens, so wie ich es versprochen habe“, sagte er.

Nach dem weitgehenden Sieg über die Hisbollah, der massiven Schwächung Irans durch die Kriege in Gaza und Libanon und dem Ende der Assad-Herrschaft ist er einen großen Schritt vorangekommen. Am Ende versteht Israel unter Neuordnung die Schwächung oder den Fall des iranischen Regimes. Israel nehme „die iranische Achse Stück für Stück auseinander“, so Netanjahu. „Syrien ist ein zentrales Stück der Achse.“

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Wichtig bleibt für Israel, dass Syrien keine Bedrohung darstellt, selbst wenn dort ein feindliches Regime herrscht. Syrien war seit dem verlorenen Jom-Kippur-Krieg von 1973 bis heute militärisch stets unterlegen. Die Bedrohung bestand aber darin, dass Iran und die libanesische Hisbollah freie Hand hatten, das Land als Waffenroute und Hinterland und Libanon als Aufmarschgelände gegen Israel zu nutzen.

Mit dem Sturz Assads und der Unklarheit über die Nachfolge nutzt Netanjahu seine Chance. Welche Regierungsform auch immer sich nach dem Sieg der überwiegend islamistischen Rebellen bilden wird, sie soll für Israel keine Bedrohung darstellen. Bei Islamisten aber ist die Gegnerschaft zu Israel und die Forderung nach der Befreiung Palästinas sowie Jerusalems eigentlich selbstverständlich.

Daher zerstört die Luftwaffe seit Sonntag Luftwaffenbasen wie die in Qamischli in der Kurdenregion, Schinschar bei Homs und Aqraba bei Damaskus. Und das samt Flugzeugen und Technik. Auch Bodentruppen der IDF sollen am Dienstag in kleinerer Zahl vorgestoßen sein in Richtung Damaskus, um Militäreinrichtungen zu zerstören. Allein bei den zwischen 250 und 300 Luftangriffen seit Sonntag sollen Dutzende syrische Jets und Helikopter sowie Radarsysteme, Waffenlager und Depots für weitreichende Raketen getroffen worden sein. Experten gehen davon aus, dass Syriens Luftwaffe in wenigen Tagen komplett vernichtet sein wird, wenn die Israelis in diesem Ausmaß weiter bombardieren. Die Rebellen haben keine Luftabwehr.

„Die Golanhöhen werden auf immer unabtrennbarer Teil des Staates Israel bleiben“, sagt Netanjahu

Nach Ansicht Netanjahus darf das neue syrische Regime, das mit allergrößter Sicherheit nicht Israel-freundlich sein wird, keine strategischen Waffen besitzen. Zur Zerstörung von Syriens Chemiewaffen-Programm wurden daher Depots, Produktionsstätten und das Forschungslabor in Barza bei Damaskus bombardiert. Syrien war nach den verheerenden Giftgas-Angriffen auf die Rebellen 2013 von der internationalen Gemeinschaft gezwungen worden, sein Kampfgas zu vernichten. Reste sollen aber geblieben sein.

Zudem haben israelische Truppen direkt nach Assads Fall die 235 Quadratkilometer große Pufferzone auf den Golanhöhen besetzt und den syrischen Teil des Hermon-Berges. Dieser Berg dominiert mit seinem Doppelgipfel den Höhenzug und hat militärischen Wert. Der zweite Gipfel war in syrischer Hand, als das Assad-Regime fiel. Die Golanhöhen sind seit dem Krieg von 1967 israelisch besetzt und wurden 1981 völkerrechtswidrig annektiert. Heutzutage verstehe jeder „die Notwendigkeit unserer Präsenz auf dem Golan und nicht am Fuß des Golan“, so Netanjahu. „Die Golanhöhen werden auf immer unabtrennbarer Teil des Staates Israel bleiben.“

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In Syrien übernimmt eigenen Angaben zufolge der bisherige Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib, Mohammed al-Baschir, die Führung der Übergangsregierung. Geplant sei, dass diese bis März 2025 im Amt bleibe, kündigte er an. Laut arabischen Medien erging der Auftrag an ihn am Montag bei einem Spitzentreffen in Damaskus.

An einem weiteren Treffen am Dienstag nahmen der Anführer der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), Ahmed al-Scharaa, der zuvor unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschaulani auftrat, sowie Minister der bislang amtierenden Regierung teil. Beide Seiten streben Berichten zufolge eine reibungslose Übertragung der Verwaltungsgeschäfte an. Al-Baschir stammt aus dem nordwestlichen Gouvernement Idlib, der Rebellenhochburg, von der aus HTS ihre Offensive gestartet hat. Berichten zufolge studierte der Politiker Elektronikingenieurwesen und islamisches Recht. Er ist Anfang 40.

Der gestürzte Machthaber Baschar al-Assad hat nach Darstellung des Kremls persönlich und selbständig über seinen Rücktritt entschieden. Das sei die „individuelle Entscheidung Assads“ gewesen, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow russischen Agenturen zufolge. Assad hat mit seiner Familie Asyl in Russland erhalten.

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