Süddeutsche Zeitung

"Mein Leben in Deutschland":So einfach ist die Rückkehr nicht

Selbst wenn der IS demnächst besiegt wäre, würden die wenigsten geflohenen Syrer sofort ihre Koffer packen. Denn in der Heimat erwartet sie das Grauen des Assad-Regimes.

Kolumne von Yahya Alaous

Es wäre sehr naiv zu behaupten, dass die IS-Terroristen die einzigen Barbaren in Syrien sind, und dass die in alle Himmelsrichtungen geflüchteten Syrer einfach zurückkehren könnten, wenn der IS besiegt wäre.

In Berlin hingen neulich, illegal, plötzlich Plakate, die die Syrer zur Rückkehr aufforderten. Als ob das so einfach wäre, zumindest für jene, die ihres Lebens nicht überdrüssig sind! Wenn es so leicht wäre zurückzukehren, warum würden dann wohl noch hunderttausende Syrer unter menschenunwürdigsten Bedingungen im Libanon, Jordanien und in der Türkei in den Lagern vegetieren? Würden sie sich nicht einfach in einen Sammelbus setzen und eine Stunde später glücklich wieder ihre alten Häuser und Wohnungen beziehen, oder sich den betagten daheimgeblieben Verwandten oder der Aufbauarbeit widmen?

Seit der Krieg in Syrien ausbrach, war der so genannte "Islamische Staat" mit seinen grausamen Schandtaten stets in den westlichen Schlagzeilen präsent. Was aber war, und ist, mit den Gräueltaten des Regimes? Über dessen Schandtaten wurde nicht in ähnlicher Ausführlichkeit berichtet. Vielleicht werden Morde und Massaker eines sekulären Staates eher akzeptiert als Morde und Massaker einer islamistischen Terrormiliz?

Yahya Alaous

arbeitete in Syrien als politischer Korrespondent einer großen Tageszeitung. Wegen seiner kritischen Berichterstattung saß der heute 43-Jährige von 2002 bis 2004 im Gefängnis, sein Ausweis wurde eingezogen, ihm wurde Berufsverbot erteilt. Nach der Entlassung wechselte er zu einer Untergrund-Webseite, die nach acht Jahren vom Regime geschlossen wurde. Während des Arabischen Frühlings schrieb er unter Pseudonym für eine Oppositions-Zeitung. Als es in Syrien zu gefährlich wurde, flüchtete er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Deutschland. Seit Sommer 2015 lebt die Familie in Berlin. In der SZ schreibt Yahya Alaous regelmäßig über "Mein Leben in Deutschland".

Diese uns zur Rückkehr auffordernden Plakate erachte ich als sehr gefährlich, da sie negative Ressentiments gegen Geflüchtete erzeugen können. Zum Glück wurden sie in Berlin nach nur einer Nacht entfernt. Im Libanon kann man schon beobachten, was nach solchen Aufrufen geschah - nachdem fanatische Flüchtlingsgegner begonnen hatten, aggressiv gegen Syrer Stimmung zu machen. Mittlerweile ist diese Aufhetzung systematisch geworden.

Die durch eigenes, jahrzehntelanges Staatsversagen ohnehin gebeutelten Libanesen - Korruption, Vetternwirtschaft, mangelhafte Strom- und Wasserversorgung, Müllprobleme und vieles mehr hatte es dort gegeben, lange bevor die syrischen Flüchtlinge kamen - haben nun die Syrer als ihren neuen Sündenbock entdeckt. Vergessen zu sein scheinen die vielen Millionen Dollar, die die Vereinten Nationen und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen in den Libanon gesteckt haben, vergessen auch die Millioneninvestitionen durch syrische Geschäftsleute.

Die Situation der Geflüchteten ist in Deutschland eine vollkommen andere als im Libanon, doch das Gefühl des Ausgestoßenseins, das ist dasselbe.

Der Großteil der mir hier bekannten Syrer will nicht in Deutschland bleiben. Sie warten nur - auf den richtigen Zeitpunkt zur Rückkehr. Da dieser aber auf sich warten lässt, wäre es wünschenswert, eine politische Lösung zu finden, denn bevor diese gefunden ist, wäre eine Rücksendung oder Abschiebung nach Syrien ein sicherer Tod.

Zum Glück ist es wahr: Die schweren Kämpfe in Syrien sind beendet, Idlib natürlich ausgenommen, doch das ganze Land ist immer noch gefährlich. Unter Kindern explodieren Minen und Blindgänger. Autobomben explodieren überall. Es herrscht freie Waffenwahl für jedermann - Kalaschnikows sind in Syrien so präsent wie Smartphones auf deutschen Gehwegen.

Dazu gibt es organisierte Entführungen von kriminellen Banden, aber auch staatliche Beugehaft. Jeder, dessen Cousin oder Bekannter vermeintlich "etwas" gemacht haben soll, kann einfach so von der Straße weggefangen und gefoltert oder auch getötet werden. Die Frage nach den zehntausenden Verschwundenen ist längst nicht beantwortet.

Menschen, die ihre Häuser verloren haben, können sich nicht schnell neue bauen. Wie denn auch? Selbst wenn es Baumaterial und Arbeiter gäbe - auf welchen Straßen sollten die Baustoffe ins Land gebracht werden? Es gibt kaum noch intakte Schulen. Krankenhäuser, Versorgung, Transport - zerstört. Ist also eine Meldung "IS besiegt - Frieden in Syrien" schon die Nachricht, die die Herzen der Syrer höher hüpfen und sie ihre Koffer packen lässt?

Das Regime schert sich um niemanden

Man muss vieles beachten, bevor man über Menschen und ihr Leben urteilt und sie zur Rückkehr auffordert.

Vor dem Kriegsausbruch 2011 haben internationale Organisationen jährlich Berichte über die Menschenrechtslage verfasst. Darin wurde versucht, die Situation und die Folterungen politischer Gefangener und Oppositioneller sichtbar zu machen. Diese Berichte trafen stets auf großes Interesse - ausländische Botschaften forderten das syrische Regime nach der Veröffentlichung jeweils zu Reformen auf, zu Freilassungen, zu mehr Freiheit für das Volk.

Doch heutzutage? Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden immer schlimmer, die Gesamtzahl der Eingekerkerten kennt keine Grenze, denn das Regime kennt keine Obergrenze. Es gibt keine Freiheiten, Folter ist dem System immanent, und das Regime schert sich um niemanden, schon gar nicht um dessen Gefühle, weder um die seelischen noch um die körperlichen Schmerzen.

Den Slogan "Syrer raus" gibt es überall, nicht nur in Deutschland, und wenn wir dann "raus" sind, falls sich die Lage nicht politisch ändert, dann werden sich Assad und Putin über uns als Geschenke freuen. Das sind übrigens die beiden Herren, die hauptverantwortlich für die "Flüchtlingskrise" sind. "Syrer zurück" wäre der erste Schritt nach dem Sieg über die Terrormiliz, der das Assad-Regime stützen, stärken, bestätigen und international wieder reputationsfähig machen würde.

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