Syrien:Im Sog des Bürgerkriegs

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Früher hat es in Aleppo sogar ein Sex-Kino gegeben, heute strömen Gotteskrieger aus aller Welt hierher. Der Syrien-Konflikt weckt verschleppte Spannungen in der ganzen Region. Irak, Libanon, Jordanien, die Türkei, sie alle sind in Gefahr. Syriens Nachbarn können sich Neutralität kaum noch leisten.

Sonja Zekri

Vor ein paar Jahren, in ruhigeren, aber, wie man jetzt weiß, nicht stabilen Zeiten, gab es in Aleppo ein Sex-Kino. Die Plakate, harmlos nach westlichen Maßstäben, waren von der Straße aus zu sehen, der Eingang war unbewacht. Eine Sensation im Nahen Osten, selbst für das säkulare Syrien zumindest ungewöhnlich.

Heute strömen Gotteskrieger aus Bangladesch und Tschetschenien über die Grenze. Sie wollen Aleppo von den Ungläubigen befreien, dann Syrien, dann den Rest der Welt. Und angesichts ihrer Phantasien aus dem zivilisatorischen Pleistozän wäre der Verlust von ein paar Softpornos das geringste Übel.

Die Internationalisierung des Syrien-Konfliktes ist nicht mehr aufzuhalten. Die verschleppten Konflikte, die kriminell geschürten Spannungen, die halb verdeckten und oft missbrauchten Klein- und Kleinstzerwürfnisse, hinter denen sich fundamentale Gegensätze von Glauben und Volksgruppen verbergen, werden durch den Syrien-Konflikt in der ganzen Region auf dramatische Weise virulent.

Irak wird ein halbes Jahr nach dem Abzug der Amerikaner von Anschlagsserien mit Hunderten Toten erschüttert, die einem Al-Qaida-Ableger zugeschrieben werden. Das syrische Regime hatte einst Dschihad-Willige in den Nachbarstaat geschickt, um Amerika zu bekämpfen. Nun beflügelt die Aussicht auf einen syrischen Gottesstaat die Militanten in Irak. Viele syrische Dschihadis kehren heim, religiös radikalisiert und bestens ausgebildet - für die Freizeittruppe der Rebellen eine widerwillig akzeptierte Verstärkung.

In Syrien lassen Saudi-Arabien und Katar einerseits und Iran andererseits den historischen Großkonflikt um die Vormachtstellung in der Region auskämpfen: Die persischen Schiiten sahen sich dank der libanesischen Hisbollah-Miliz bereits vor den Toren des Erzfeindes Israel. Nach den Triumphen der sunnitischen Muslimbrüder und Salafisten in Tunesien und Ägypten sind sie in die Defensive geraten.

Die Aussicht auf ein sunnitisches Regime in Damaskus - nach dem Ende der Herrschaft des schiitischen Alawiten und Iran-Freundes Baschar al-Assad - muss Teheran beunruhigen. Ein ängstliches Iran aber wird seine Atombombenpläne nie aufgeben.

Auch die Sunniten in Libanon, von der Macht verdrängt durch den Aufstieg der Hisbollah, wittern Morgenluft. In sunnitisch dominierten Städten wie Tripoli steigt die Spannung, und die Scharmützel mit den Alawiten nehmen zu. Manche hoffen, ein sunnitisch regiertes Syrien könnte das sunnitische Nordlibanon einfach anschließen. Es wäre das Ende der verhängnisvollen kolonialen Grenzziehung.

Auch ein neuer militärischer Konflikt um die Kurden erscheint möglich. Der türkische Premier Tayyip Erdogan drohte, kurdische PKK-Kämpfer im Norden Syriens anzugreifen, die dort im Dienste Assads stehen. Vielleicht fürchtet er wirklich, dass sich die türkischen Kurden von den neuen Autonomieträumen jenseits der Grenze anstecken lassen.

Vielleicht ist es aber auch nur ein Vorwand, falls die Türkei irgendwann offen militärisch in Syrien eingreifen will. Offenbar regeln Erdogan und die konservativen Golf-Könige schon jetzt den Nachschub für die Rebellen von türkischem Boden aus. Aber das hat einen Preis: In einstigen türkischen Urlaubsorten lungern nun bärtige Kämpfer mit Schussverletzungen herum - finanziert durch die reaktionären Petro-Monarchien.

Selbst das kleine Königreich Jordanien gerät in Bedrängnis. Die Flüchtlingsströme aus Syrien belasten die fragile Bevölkerungsbalance. Und der Druck auf Amman wächst, den Weg für Waffentransporte nach Syrien zu öffnen. Lange gab sich Jordanien neutral. Neutralität aber ist ein Gut, das sich Syriens Nachbarn kaum noch leisten können.

© SZ vom 01.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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