Syrien:Wie bei den Syriengesprächen Diplomatie simuliert wird

Smoke rises after airstrikes by pro-Syrian government forces in Anadan city

Rauch steigt nach einem Luftangriff der Regierungstruppen über der Stadt Anadan auf.

(Foto: REUTERS)

Das Assad-Regime und Russland geben vor, über Frieden in Syrien verhandeln zu wollen. Zugleich schießen Regierungssoldaten Aleppo sturmreif.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Groß war die Hoffnung, als sich im Oktober in Wien der Amerikaner John Kerry und der Russe Sergej Lawrow auf Friedensgespräche für Syrien verständigten. Ein Ende des grausamen Krieges schien erstmals in Sicht zu sein. Wenn sich die Außenminister der alten Weltmächte einig seien, so eine Lesart, entfalte dies eine Dynamik, der sich weder das Regime noch die Opposition entziehen könnten, ebenso wenig wie die Regionalstaaten Iran, Saudi-Arabien, die Türkei und andere.

Syrien: UN-Vermittler Staffan de Mistura kündigte eine Auszeit für die Gespräche an.

UN-Vermittler Staffan de Mistura kündigte eine Auszeit für die Gespräche an.

(Foto: AP)

Der UN-Sicherheitsrat beschloss einstimmig die Resolution 2254. Sie setzte die Genfer Verhandlungen ins Werk - die UN-Vermittler Staffan de Mistura nun, kaum dass sie begonnen hatten, wegen mangelnder Fortschritte für drei Wochen unterbrach.

Der Sicherheitsrat verpflichtete alle Seiten, sofort Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, vor allem in belagerten Gebieten. Zudem verlangt er von den Konfliktparteien, unverzüglich Luftangriffe auf zivile Gebiete und deren Beschuss einzustellen. Die in Wien vertretenen Staaten erkannten den "engen Zusammenhang zwischen einer landesweiten Waffenruhe und einem politischen Prozess" an und vereinbarten, sich mit Beginn der Gespräche dafür einzusetzen.

Putin schafft Fakten

Umgesetzt wurde davon so gut wie nichts. Und als die Opposition die Einhaltung der UN-Resolution zur Bedingung für Verhandlungen machen wollte, warf ihr das Regime von Baschar al-Assad Obstruktion vor. Der Kreml erklärte offen, es sei zu früh für Verhandlungen über eine Waffenruhe, er akzeptiert die Zusammensetzung der Oppositionsdelegation nicht.

Während das Regime sich in Genf an den Verhandlungstisch setzt, schießen seine Truppen Aleppo sturmreif, ebenso andere belagerte, von Rebellen gehaltene Enklaven. Die russische Luftwaffe unterstützt dies mit 200 Angriffen pro Tag.

Man hat sich in Wien bei den schwierigen Fragen ins Ungefähre gerettet, in der Hoffnung, der Prozess werde so weit fortschreiten, dass alle mehr zu verlieren hätten, wenn sie ihn aufgeben, als wenn sie schmerzhafte Kompromisse eingehen. Nun ist die Gefahr groß, dass er erst gar nicht in Gang kommt.

Solange das Regime und mit ihm Russland und Iran glauben, den Konflikt militärisch gewinnen oder zumindest ihre Ausgangsposition für Verhandlungen entscheidend verbessern zu können, ist Genf kaum mehr als die Simulation von Diplomatie.

Dies war von Beginn an jedoch das Motiv des Kreml für die Intervention, die nur anfänglich als Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat bemäntelt wurde. Der Westen, allen voran die USA, hat durch jahrelanges Lavieren und den Mangel einer schlüssigen Strategie Präsident Wladimir Putin die Möglichkeit dazu eröffnet. Der Glaube, Putin werde am Ende Assad schon fallen lassen und staatsmännisch der Versuchung widerstehen, einen Frieden zu seinen Bedingungen zu diktieren, ist naiv. Er schafft längst Fakten.

Flüchtlinge ohne Perspektive

In Syrien will Putin den Anspruch Russlands als Großmacht wiederherstellen. Er ficht hier auch einen Konflikt mit den USA aus. Die Marschflugkörper über Syrien waren das sichtbarste Zeichen. Militärisch war ihr Einsatz sinnlos, Russland hat dort uneingeschränkte Lufthoheit.

Westliche Diplomaten suchen schon nervös nach Anzeichen, an welchem Konfliktherd der Kreml die Strategie als Nächstes anwenden könnte, sich per Intervention unabdingbar zum Teil der Lösung zu machen. Was Syrien angeht, bleibt ihnen, so bitter das ist, keine ernsthafte Alternative, als weiter auf Genf zu hoffen.

Für die Syrer bedeutet all das nichts Gutes. Solange es keine glaubhafte Perspektive auf Frieden gibt, werden weiter jeden Tag Tausende versuchen, ihr Land zu verlassen. Von jenen 4,6 Millionen, die schon in die Nachbarländer geflohen sind, haben viele die Hoffnung fahren lassen, schnell in ihre Heimat zurückzukehren.

Solange die Flüchtlinge aber auch in den Aufnahmeländern keine Perspektive haben, weil ihre Versorgung nicht gewährleistet ist, weil sie nicht oder nur begrenzt arbeiten dürfen und, noch wichtiger, weil sie ihre Kinder nicht in die Schule schicken können, werden sie weiter ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen.

Die Welt kann den Syrern helfen

Verzweiflung schlägt um in bittere Entschlossenheit. Niemand würde sonst sein restliches Vermögen darauf verwenden, einen Platz auf einem Schlauchboot zu erstehen. Niemand, wirklich niemand, würde seine Kinder auf die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer mitnehmen, wenn es eine einigermaßen glaubhafte Alternative gäbe, deren Zukunft auf anderem Wege zu sichern.

Die Welt kann diesen Menschen helfen, indem sie den UN das nötige Geld zur Verfügung stellt und die Aufnahmeländer unterstützt. Die Tragödie beenden wird sie aber nur, wenn es in Syrien Frieden gibt.

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