Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Das macht den Idlib-Deal so kompliziert

  • Russland und die Türkei vereinbaren eine entmilitarisierte Pufferzone im syrischen Idlib bis zum 15. Oktober.
  • Der türkische Präsident Erdoğan versucht, die Einigung als politischen Erfolg zu verkaufen.
  • Doch der Deal ist kompliziert: für die Türkei selbst, für die Rebellen in Syrien, aber auch für Russland.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es war am russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die Quintessenz des Treffens zwischen Präsident Wladimir Putin und dessen türkischem Kollegen Recep Tayyip Erdoğan am Montag in Sotschi zu formulieren. Es werde keine neue Militäroperation geben gegen die Provinz Idlib, die letzte Hochburg der Rebellen in Syrien - vorerst zumindest nicht. Die beiden Staatschefs hatten am Montag eine demilitarisierte Pufferzone vereinbart, die Rebellen und Regime trennen soll. Doch die Vereinbarung, von der kaum Details bekannt gegeben wurden, wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet.

Die Eckpunkte: Bis zum 15. Oktober soll die zwischen 15 und 20 Kilometer tiefe Zone eingerichtet sein, fünf Tage zuvor schwere Waffen wie Panzer, Artillerie-Raketen, Mörsergranaten und Panzerabwehrraketen aus dem Gebiet abgezogen werden. Auch die Kämpfer der Dschihadisten-Miliz Hayat Tahrir al-Scham, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahesteht, müssen nach den Worten Putins aus der Zone verschwinden - wie genau, das ist wohl die entscheidende Frage. Andere Gruppen dagegen dürften in dem Gebiet bleiben. Gemeint sind damit vor allem Milizen, die dem Bündnis der Nationalen Befreiungsfront angehören; zumeist islamistische Gruppen, von der Türkei unterstützt und letztlich von Ankara abhängig. Russische Militärpolizei und türkische Truppen sollen mit mobilen Patrouillen die Einhaltung der Vereinbarung überwachen.

Offen ist, ob die Türkei ihren Teil der Abmachung liefern kann

Erdoğan versucht, die Einigung als politischen Erfolg zu verkaufen. Zehn Tage zuvor, bei einem Gipfeltreffen in Iran, hatten Moskau und Teheran sich einer solchen Lösung noch widersetzt. Jetzt, so sagte der türkische Präsident, sei "eine große Krise für die Menschen" in Idlib abgewendet worden. Allerdings ist offen, ob die Türkei ihren Teil liefern kann. Ankara hat Hayat Tahrir al-Scham jüngst zur Terrororganisation erklärt, nachdem sich die Nachfolgeorganisation der Nusra-Front beharrlich allem Druck widersetzt hatte, sich selbst aufzulösen. Die Gruppe ließ zwar türkische Truppen zu Beobachtungspunkten in Idlib passieren, auch pflegt der türkische Geheimdienst zumindest informelle Kontakte. Ob die aber reichen, um die Dschihadisten gefügig zu machen, ist offen.

Auch für die zahlenmäßig stärkeren anderen Rebellen ist der Deal schwierig: De facto verlagert sich die Front weiter in ihr Gebiet. Der Abzug der schweren Waffen heißt zugleich, dass sie Vorstöße des Regimes oder der von Iran unterstützten Milizen dort kaum mehr zurückschlagen können. Überdies ist die Trennung zwischen moderaten und radikalen Assad-Gegnern notorisch schwierig: In Aleppo oder Ost-Ghouta etwa nahmen Russland und das Regime die Präsenz von Nusra-Kämpfern zum Vorwand für Offensiven auch gegen Rebellen, die in Deeskalationsvereinbarungen eingebunden waren, wenn man den Zeitpunkt für gekommen hielt.

Letztlich hat Putin es nun Erdoğan aufgebürdet, diese Trennung zu bewerkstelligen. Gelingt sie der Türkei nicht, kann der Kreml argumentieren, man habe alles versucht, aber ein militärisches Vorgehen sei offenkundig unausweichlich. Schwer vorstellbar, dass Putin dann noch einmal dem massiven Druck nachgibt, den die USA, Europa und auch die Vereinten Nationen jüngst aufgebaut hatten.

Zeigen muss sich auch erst noch, ob Russland das Regime und die von Iran kontrollierten Milizen zügeln kann. Sie können zwar ohne russische Luftunterstützung keine Großoffensive auf Idlib starten. Gleichwohl können sie mit Provokationen die Vereinbarung unterminieren. Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür bei den vielen, über die Jahre gescheiterten Waffenruhen in Syrien. Und sie können sich darauf verlassen, dass die überwölbenden strategischen Überlegungen Moskau letztlich bewegen werden, die militärische Lösung, die Assad immer angestrebt hat, bis zum Ende mitzutragen.

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