Talbiseh:Wie syrische Zivilisten unter dem Krieg leiden

Suicide bomb attack in Homs, Syria

Eine Szene in Homs nach einem Selbstmordanschlag Ende Januar. Einige Kilometer nördlich sind 300 000 Zivilisten in Talbiseh eingekesselt.

(Foto: dpa)

Im syrischen Talbiseh sind 300 000 Zivilisten eingeschlossen. In einer Videobotschaft erzählen sie von ihrem Alltag mit der Angst.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Firas trägt Anorak und Wollmütze. Es ist kalt in Talbiseh, einem der Orte nördlich von Homs, die von Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad belagert werden. Firas sitzt in einem kahlen, weiß gestrichenen Raum. Das Krankenhaus ist der einzige Ort weit und breit, wo es noch Strom gibt. Über das Internet sind Medienaktivisten wie er in manchen der eingeschlossenen Städte noch zu erreichen, wenn nicht gerade die Bomben fallen oder Granaten einschlagen.

Tagelang war es ruhig in Talbiseh, Nachbarorte wurden bombardiert. In der Nacht zum Freitag dann 16 Luftangriffe. "Russische Flugzeuge", ruft Firas in einem kurzen Video, das er geschickt hat. Dutzende Blitze zucken durch die Dunkelheit. Bababababamm, das Stakkato explodierender Streubomben, international geächtete Waffen. "Möge Gott uns schützen!" Firas lebt, aber sie zählen drei Tote und mehr als 20 Verletzte in dieser Nacht. Traumatisierte Kinder, die aus Trümmern gerettet werden konnten, ein Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre, zittert panisch vor Angst.

"Die Regierungstruppen haben sämtliche Zugänge abgesperrt"

Etwa 300 000 Zivilisten seien in dem Gebiet eingeschlossen, sagt Firas. Kontrolliert werde es von der gemäßigten Freien Syrischen Armee. "Das wissen auch die Russen", sagt er. Aber die seien gekommen, "um Assad zu helfen". Talbiseh war einer der ersten Orte, die sie bombardierten.

Die Belagerungen waren einer der Streitpunkte bei den unterbrochenen Friedensgesprächen in Genf. Die Opposition verlangt, dass Hilfe durchgelassen wird. Und dass das Bombardement ziviler Gebiete endet. Auch Rebellen haben Orte abgeschnitten, die weitaus meisten Menschen aber blockiert das Regime - und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Und Flugzeuge haben nur die Armee und die Russen. Die Folgen der Angriffe zeigen sich nicht nur in den belagerten Städten, sondern auch in Aleppo. Dort wurden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 15 000 Menschen von der gegenwärtigen Offensive der syrischen Armee in die Flucht getrieben.

Das Rebellengebiet um Talbiseh versperrt dem Regime die wichtige Verbindung zwischen Homs und Hama. "Die Regierungstruppen haben sämtliche Zugänge abgesperrt", sagt Firas, dessen Identität geschützt bleiben muss. Überprüfen lassen sich seine Angaben nicht in jedem Detail, sie stimmen aber mit Berichten internationaler Organisationen überein.

Talbiseh: SZ-Karte

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Strom haben sie in Talbiseh seit drei Jahren nicht mehr. "Die Leute benutzen Autobatterien, damit sie ein bisschen Licht haben", sagt Firas. Aber bald geht ihnen der Sprit aus, den sie für die Generatoren brauchen und für die Wasserpumpen. "Früher haben wir Benzin von Schmugglern kaufen können, aber die kommen nicht mehr durch." Das Krankenhaus hat keine Medikamente mehr, nur sehr begrenzt erste Hilfe für Verwundete könne es noch leisten. "Seit einem Monat und 13 Tagen sind wir einer totalen Blockade unterworfen, und unsere Vorräte gehen bald zu Ende."

Brot und Mehl gibt es nicht mehr. "Wir essen Reis, Linsen und andere Sachen", sagt Firas, aber auch die gehen zur Neige. "Es gibt Gemüse, das wir anbauen, aber im Winter wächst kaum etwas." Es ist eine Frage der Zeit, wann sie hungern müssen.

Die Häuser sind zerschossen

Firas ist 28, er ist in Talbiseh geboren. Er war gerade mit seinem Englisch-Studium fertig, als die Revolution begann. "Das einzige, was uns hilft, ist wenn die Bombardierungen aufhören, das Granatfeuer." Eines wolle er noch loswerden, sagte er dann: "Ich wünsche mir, dass ihr im Westen uns als Menschen seht, nicht bloß als Zahlen, als Statistiken. Wir sind Zivilisten, wir haben Träume, wir haben Familien, wie ihr."

Abdulsattar, 32, war Apotheker in Erbin in Ost-Ghouta, dem landwirtschaftlich geprägten Umland von Damaskus. Seine Apotheke hat er 2014 aufgeben müssen; das Regime ließ keine Medikamente mehr durch. Abdulsattar zeigt mit der Videokamera verwackelte Bilder. Die Front ist nahe, die Häuser zerschossen, oft nur noch Gerippe aus Grundmauern und Deckenplatten. "Wir werden seit drei Jahren belagert", sagt Abdulsattar. Seitdem hat er seine Familie nicht mehr gesehen. Sie lebt auf der anderen Seite, in Damaskus, wo er studiert hat.

Es ist bitterkalt, und Diesel zu kostbar zum Heizen

An den Checkpoints der Assad-Truppen komme man nur mit Passierschein vorbei, der koste 2000 Dollar. Lebensmittel darf man trotzdem nicht nach Erbin bringen. Zu Beginn der Belagerung habe es fast nichts mehr gegeben, ein Kilo Reis kostete zehn Dollar. "Die Leute haben Plastik-Diesel gemacht", erzählt er. Sie destillierten aus Plastikabfällen eine Art Öl.

Heute sind die Preise wieder niedriger, es werden Lebensmittel und Benzin nach Erbin geschmuggelt. Über Tunnel sind sie mit einem anderen Ort verbunden, der nicht komplett abgeriegelt ist. "Man kann sogar ein Huhn kaufen", sagt Abdulsattar, "für 2000 syrische Pfund" - zehn Euro. Damit müssen viele eine ganze Woche leben.

Aber sie haben ein anderes großes Problem hier: "Scharfschützen", sagt Abdulsattar. Regierungssoldaten haben ein zwei Kilometer entferntes hohes Gebäude eingenommen. Von dort schießen sie auf alles, was sich bewegt. "Die Menschen leben nur im Keller und im Erdgeschoss", sagt Abdulsattar. Kaum jemand traue sich auf die Straße, und wenn, dann in der Dunkelheit.

Abdulsattar gehört zu einer Gruppe von Aktivisten, die sechs Schulen in Erbin betreiben. Im Moment ist der Unterricht schwierig. Auch in Erbin ist es bitterkalt, und Diesel ist zu kostbar zum Heizen. "Die Leute schneiden alle Bäume um und verheizen das nasse Holz", sagt Abdulsattar. Olivenbäume. Obstbäume. Davon haben sie gelebt hier. Jetzt versuchen sie nur noch zu überleben.

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