Süddeutsche Zeitung

Syrien:Geldscheine als Servietten

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Libanons Bankenkrise lässt auch Syriens Währung kollabieren. Während manche die Inflation mit Humor nehmen, droht anderen Hunger.

Von Moritz Baumstieger, München

Als die Zentralbank in Damaskus im Sommer 2017 eine neue Banknote vorstellte, präsentierte sie mehr als nur ein Zahlungsmittel: In der Mitte des Scheins prangte die Umayyaden-Moschee von Damaskus, die einst eine christliche Basilika war. Neben dem Erbe der Vergangenheit blickte den Syrern die Gegenwart entgegen: Baschar al-Assad, nach 17 Jahren als Präsident erstmals auf einer Banknote abgebildet. Selbstredend auf der mit dem höchsten jemals ausgegebenen Wert.

Die 2000-Pfund-Note hatte eine politische Dimension: Ein ranghohes Mitglied der Regierungspartei sagte, dies sei Assads Art, der Welt zu zeigen, wie sehr er seine Macht gefestigt habe. Er werde nicht abtreten, weder jetzt noch später - auch das sollte der violette Schein belegen, der zum Ausgabezeitpunkt etwa vier Dollar wert war.

Heute würde es sich der Diktator wahrscheinlich gut überlegen, sein Porträt auf das syrische Pfund drucken zu lassen. Am Mittwoch wurde der Dollar in Syrien auf dem Schwarzmarkt teils für 1000 Pfund gehandelt, der Geldschein, der Assads Erfolge im Bürgerkrieg feiern sollte, ist gerade noch die Hälfte wert. Dass man 2011 einst für 47 Pfund einen Dollar bekam und dass der Kurs von 630 Pfund im Oktober bereits als katastrophal galt, erscheint den syrischen Bürgern heute fast surreal. Seit das benachbarte Libanon von einer Protestwelle und einer Bankenkrise erschüttert wird, erlebt die Währung Syriens den dramatischsten Verfall in der jüngeren Geschichte. Denn über das Nachbarland konnten syrische Unternehmen bislang viele internationale Sanktionen umgehen.

Aus Angst brachten bisherige Profiteure des Regimes ihre Vermögen ins Ausland

Das Bankensystem Libanons ist wenig reguliert - und vor allem an jene internationalen Systeme angeschlossen, von denen die syrischen Banken derzeit abgeschnitten sind. Also eröffneten syrische Unternehmen libanesische Scheinfirmen, die für sie Im- und Exporte abwickelten, meist in Dollar. Dieser Umweg bei Geldflüssen ist für die syrische Oberschicht keinesfalls neu, Beirut war für sie schon immer ein beliebter guter Ort, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Seit Libanons Banken aber im Oktober Obergrenzen eingeführt haben und nur noch zwischen 500 und 1000 Dollar pro Woche abgehoben werden können, sind die Guthaben der Geschäftsmänner, Industriellen und Kriegsgewinner blockiert. Der Preis für die für internationale Geschäfte dringend benötigten Dollars stieg auch in Syrien rapide. Die Krise verschärfte, dass in Libanon arbeitende Syrer kein Geld mehr nach Hause schickten, und reiche Libanesen versuchten, sich auf den Schwarzmärkten in Syrien selbst harte Auslandswährung zu besorgen.

Die Regierung in Damaskus schweigt bisher zu dem Thema. Dass sie im November die Gehälter von Staatsangestellten und Pensionären um bis zu 20 000 Pfund anhob, nutzte wenig - die Lohnerhöhungen wurden sofort von der Inflation aufgefressen. Die Lebensmittelpreise stiegen nach Angaben von syrischen Geschäftsleuten allein in den vergangenen zwei Wochen um etwa 25 Prozent. Im Netz kursieren humoristische Videos, in denen Straßenhändler ihren Kunden Banknoten als Servietten zu Gebäckstücken mitgeben - sie sind eh nichts mehr wert. Dabei ist die Situation für viele im Land todernst: Acht von zehn Syrern haben nach UN-Angaben weniger als 100 Dollar im Monat zur Verfügung, syrische Exil-Ökonomen warnen bereits, dass es in diesem Winter zu Hungerkrisen in den Regierungsgebieten kommen könnte. Den Sieg über die Rebellen haben sich wohl auch die Assad-Loyalisten anders vorgestellt.

Neben den internationalen Sanktionen und den Entwicklungen in Libanon verschärfen weitere Faktoren die Krise: Nachdem es im vergangenen Winter zu Unmut in der Bevölkerung wegen Treibstoff- und Gasknappheit kam, wollte das Regime dieses Jahr eigentlich vorsorgen. Doch seit die Türkei in die Kurdengebiete in Nordostsyrien einmarschierte, ist der Ölexport von dort zusammengebrochen. Die Schlangen vor den Tankstellen und Gasabgabestellen sind wieder lang.

Nach Ansicht des in London ansässigen Analysten Ibrahim Hamidi haben zudem militärische Erfolge des Regimes die Krise verschärft: Mit der Wiedereroberung der meisten Rebellengebiete ist auch der Strom an Dollars abgerissen, mit denen der Westen und die Golfstaaten Aufständische unterstützten. Durch Handel fanden harte Devisen ihren Weg durch die porösen Frontlinien hinweg auch in Regierungsgebiete - diese Quelle ist nun versiegt.

Zum anderen scheint eine vorgebliche Säuberungskampagne Nebeneffekte zu haben. Wiederholt auftauchenden, aber nie bestätigten Berichten zufolge ließ Assad im Sommer seinen Cousin Rami Makhlouf fallen, als ihn der Verbündete Russland drängte, Rechnungen für Waffenlieferungen zu begleichen. Um das Geld aufzutreiben, musste der bisher reichste Mann Syriens, der nach manchen Hochrechnungen fast die Hälfte der syrischen Wirtschaft kontrolliert, einen Teil seines Vermögens abgeben. Ohne Makhloufs Namen zu nennen, sprachen regimenahe Medien von einer Kampagne gegen die Korruption - die jedoch eine Art Kettenreaktion auslöste.

Aus Angst vor ähnlichen Maßnahmen transferierten bisherige Profiteure des Regimes ihre Vermögen ins Ausland, manche setzten sich gar ab. So etwa der bis dahin amtierende Präsident des syrischen Fußballverbandes Fadi al-Dabbas, den das Forbes-Magazin kurz zuvor noch mit 1,75 Milliarden Dollar Vermögen auf Platz 27 der reichsten Menschen des Nahen Osten eingestuft hatte. Im Spätsommer tauchte Dabbas unter. Dass er aus dem Exil ankündigte, einige Millionen in einen von regimenahen Geschäftsmännern aufgestellten, bisher aber weitgehend wirkungslosen Fonds zur Stützung der Währung einzuzahlen, half ihm auch nicht: Seine Vermögenswerte in Syrien wurden beschlagnahmt - und sind damit genauso unerreichbar für ihn wie derzeit Guthaben auf libanesischen Banken.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2019
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