Syrien:Freies Geleit für Rebellen

Hunderte Aufständische verlassen nach der Vereinbarung einer Waffenruhe die Enklave Ost-Ghouta. Unklarheit herrscht über die Stadt Douma.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Mehrere Rebellengruppen in Syrien sind am Wochenende aus dem heftig umkämpften östlichen Ghouta bei Damaskus abgezogen. Sie hatten unter Vermittlung Russlands und nach ihren eigenen Angaben auch der Vereinten Nationen eine Vereinbarung mit dem Regime von Präsident Baschar al-Assad erzielt; die UN bestätigten ihre Beteiligung nicht. Demnach erhielten die Kämpfer mit leichten Waffen und ihren Familien freies Geleit, um mit Bussen in die Provinz Idlib gefahren zu werden, das letzte zusammenhängende größere Gebiet, das noch von Regierungsgegnern gehalten wird. Zivilisten wurde freigestellt, ob sie mit den Rebellen nach Nordsyrien gehen oder unter Kontrolle des Regimes in Ghouta bleiben wollten. Russland sollte ihre Sicherheit dort garantieren.

Die Gruppe Failaq al-Rahman hatte in der Nacht auf Freitag eine Waffenruhe verkündet, die Verhandlungen mit dem russischen Militär ermöglichen sollte. Insgesamt 7000 Kämpfer, deren Familienangehörige sowie Zivilisten sollten die Orte Zamalka, Arbin, Ain Tarma and Jobar verlassen. Etwa 1000 bestiegen Busse, die am Samstag in Hama an der Grenze zur Provinz Idlib eintrafen. Weitere wurden im Laufe des Sonntags von Bussen abgeholt. Zuvor hatte sich bereits die Rebellengruppe Ahrar al-Scham mit Damaskus auf den Abzug ihrer Kämpfer geeinigt. Tausende Rebellen und Zivilisten verließen daraufhin die Stadt Harasta in Richtung Idlib.

Laut Ärzte ohne Grenzen wurden in Ost-Ghouta mehr als 2000 Zivilisten getötet

Unklar ist weiter das Schicksal von Douma, der dicht bebauten größten Stadt in der Region. Sie hatte im Januar nach UN-Angaben noch etwa 120 000 Einwohner, war aber in den vergangenen Wochen Ziel vieler Menschen, die versuchten, sich innerhalb der Rebellengebiete in Sicherheit zu bringen vor den massiven Angriffen der russischen und der syrischen Luftwaffe sowie dem Artilleriebeschuss der Armee und verbündeter Milizen, die von Iran unterstützt werden. Der Ort wird von einer dritten Gruppe kontrolliert, Jaisch al-Islam, die bislang Verhandlungen über einen Abzug ausgeschlossen hat, früher aber ein Gesprächspartner Russlands bei den von Moskau initiierten Verhandlungen über sogenannte Deeskalationszonen in der kasachischen Hauptstadt Astana war.

Das Regime hatte am 18. Februar eine Großoffensive auf Ghouta begonnen, in deren Zuge laut Ärzten in dem Gebiet mehr als 2000 Zivilisten getötet und mehr als 8500 verwundet worden sind. Die tatsächlichen Zahlen dürften höher liegen, weil mutmaßlich noch Leichen unter zusammengestürzten Gebäuden liegen, die bislang nicht geborgen werden konnten. Nach Angaben des russischen Militärs haben bislang 105 000 Zivilisten das Gebiet verlassen; die UN hatten die Zahl der Einwohner vor Beginn der Offensive auf insgesamt 393 000 geschätzt. Die Armee hatte Ghouta seit April 2013 durchgehend belagert und im November komplett von der Außenwelt abgeschnitten und ausgehungert.

UN-Untersuchungskommission stuft Vorgehen des Regimes als gewaltsame Vertreibung ein

Bewohner warfen Russland und dem Regime vor, verbotene Waffen wie Streu- und Brandbomben eingesetzt und Wohngebiete angegriffen zu haben. Russland und das syrische Regime bestreiten dies, es entspricht aber dem Vorgehen bei früheren Belagerungen wie dem Ostteil von Aleppo. Das Vorgehen des Regimes dort wurde von einer Untersuchungskommission der UN als gewaltsame Vertreibung eingestuft, ein Kriegsverbrechen. Das Regime und Russland warfen ihrerseits den durchweg radikalislamistischen Rebellen vor, Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen und sie mit Gewalt daran zu hindern, die Region zu verlassen. Sie hatten - ebenfalls wahllos - wochenlang vom Regime kontrollierte Gebiete von Damaskus mit Raketen und Granaten beschossen und Dutzende Menschen getötet.

Die Provinz Idlib, die nun die Vertriebenen aufnehmen soll, ist selbst Ziel massiver Luftangriffe. Alleine vergangene Woche wurden mehr als 70 Zivilisten bei Bombardements eines Marktes, einer Schule und anderer Ziele getötet. Auch in Idlib haben Russland und das Regime ihre Offensive jüngst wieder verstärkt. Das Gebiet wird von Hayat Tahrir al-Scham dominierte, einer Gruppe mit Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida, die auch westliche Staaten und die UN als terroristisch einstufen. Überdies kommt es zwischen ihr und Rebellengruppen immer wieder zu schweren Kämpfen. Die humanitäre Lage in der mit Flüchtlingen überfüllten Provinz ist katastrophal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: