Süddeutsche Zeitung

Syrien:Was die Luftschläge in Syrien bewirken

  • Aktivisten berichten, Kommandeure des IS würden die syrische Stadt Raqqa als Reaktion auf die französischen Luftangriffe verlassen.
  • Auch Moskau bombardiert die Islamistenhochburg, doch ob Russland seine Strategie in Syrien tatsächlich ändert, ist zweifelhaft.
  • Kurdische Kämpfer setzen die Terrormiliz auf dem Boden unter Druck und wecken damit das Misstrauen der Türkei.
  • Die USA setzten wieder verstärkt darauf, die Kapazitäten in der Erdölförderung anzugreifen, um dem IS eine wichtige Geldquelle zu entziehen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo, und Mike Szymanski, Istanbul

Seit Sonntag fliegt Frankreich mit in Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten stationierten Kampfjets der Typen Rafale und Mirage 2000 intensive Luftangriffe auf Ziele der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Sie bombardierten Kommandozentralen und andere Einrichtungen des IS in Raqqa, der Hauptstadt der Dschihadisten, und in Deir al-Sor.

Glaubt man der mit der Opposition verbundenen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, zeigen sie erste Wirkung. Deren Informanten berichten, mindestens 33 IS-Kämpfer seien getötet worden - die vielleicht sogar wichtigere Information: Hochrangige IS-Kader und ihre Familien würden sich von Raqqa nach Mossul bewegen. Die Großstadt mit einst 2,5 Millionen Einwohnern ist die Hochburg des IS im Irak.

Noch gibt es keine Anzeichen, dass sich Russland auf den Kampf gegen den IS konzentriert

War die Bilanz der Luftangriffe bisher eher dürftig, gerät der IS derzeit an mehreren Fronten militärisch unter Druck. Russland feuerte - erstmals im Kampfeinsatz - von einem U-Boot im Mittelmeer Marschflugkörper ab, die teils auch Ziele bei Raqqa trafen. Langstreckenbomber flogen von Russland aus Angriffe, Moskau will weitere 37 Flugzeuge nach Syrien verlegen und vermutlich einen weiteren Stützpunkt dort aufbauen.

Allerdings bombardiert Moskau weiter überwiegend Gruppen der bewaffneten Opposition, die gegen Machthaber Baschar al-Assad kämpfen, etwa im Gouvernement Idlib. Ein mit den Syrien-Gesprächen vertrauter westlicher Diplomat sagte, noch gebe es keine Anzeichen, dass Russland die Strategie ändere und sich auf die Bekämpfung des IS konzentriere.

Paris und Moskau wollen aber ihre Einsätze zumindest abstimmen - es wird langsam voll am Himmel über Syrien. Präsident Wladimir Putin empfängt seinen französischen Kollegen François Hollande am 26. November in Moskau. Frankreich hat den Flugzeugträger Charles de Gaulle mit 24 Jets an Bord ins Mittelmeer vor Syrien in Marsch gesetzt, wo auch russische Kriegsschiffe kreuzen. Die zusätzlichen Jets würden Frankreich erlauben, die Anzahl seiner Einsätze über Wochen zu verdreifachen.

Zugleich haben Tausende Peschmerga der kurdischen Regionalregierung im Irak - unterstützt von PKK-nahen Volksverteidigungseinheiten (PYD) aus Syrien und Kämpfern der jesidischen Minderheit - eine Großoffensive gegen den IS entlang des Sindschar-Gebirges gestartet. Die USA unterstützen den Vorstoß mit jüngst auf dem Nato-Stützpunkt İncirlik in der Türkei stationierten Erdkampfflugzeugen vom Typ A-10 Thunderbolt, die sich im Irak und Afghanistan als wirksame Waffe im Kampf gegen Guerilla-Einheiten erwiesen haben.

Kerry will den IS von der syrisch-türkischen Grenze abschneiden

Am Boden begleiten erstmals etwa zwei Dutzend Soldaten von Spezialeinheiten die Kurden; sie beraten die Kommandeure und helfen, Luftangriffe ebenfalls von İncirlik aus fliegender F-15 zu koordinieren und ins Ziel zu lenken. Hatte Russland gegen diese US-Präsenz zunächst noch scharf protestiert, war dazu nun nichts mehr zu hören.

Die kurdischen Einheiten eroberten die Stadt Sindschar vom IS zurück und kontrollieren jetzt auch einen Dutzende Kilometer langen Abschnitt der strategisch wichtigen Überlandstraße entlang des gleichnamigen Gebirgszuges, die Mossul und Raqqa verbindet. Sie abzuschneiden soll dem IS die Nachschubwege kappen, allerdings gibt es in der wüstenähnlichen Region Hunderte Kilometer unbefestigter Straßen, auf die der IS ausweichen kann. US-Außenminister John Kerry kündigte an, mit den Türken in einem gemeinsamen Einsatz "die gesamte nördliche Grenze Syriens" schließen zu wollen. Es geht um einen knapp 100 Kilometer langen Abschnitt auf syrischem Gebiet, den bislang der IS kontrolliert.

Die USA versuchen verstärkt, den Ölhandel der Terrormiliz zu unterbinden

Aus türkischer Sicht ist die Operation der erste Schritt, um eine Sicherheitszone im Nachbarland einzurichten. "Wir drücken den Startknopf für die Schaffung einer IS-freien Zone", zitiert die türkische Zeitung Hürriyet eine Regierungsquelle. Während für die USA und andere westliche Staaten eher im Mittelpunkt stehen dürfte, dem IS die Bewegungsfreiheit zu nehmen und den Terror-Tourismus zu unterbinden, verfolgt die Türkei andere Ziele: In Ankara sieht man mit Sorge, wie kurdische Kämpfer immer größere zusammenhängende Gebiete in Nordsyrien unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Sicherheitszone soll nun wie ein Puffer wirken. Sollte der IS zurückgedrängt sein, könnten dort syrische Flüchtlinge untergebracht werden. Die regierungsnahe Yeni Safak schreibt, sechs Lager seien dort geplant.

Die USA sind skeptisch, was die Einrichtung einer Sicherheitszone angeht. Zum einen wäre diese ohne eigene Bodentruppen kaum zu verteidigen - sowohl Ankara als auch Washington schließen deren Entsendung aber aus. Zum anderen ist nach Russlands Eingreifen die ursprünglich von der Türkei verfolgte Idee einer Flugverbotszone hinfällig. Luftabwehr und Einrichtungen zur elektronischen Kampfführung, die Moskau nach Syrien verlegt hat, geben Moskau dort die Kontrolle über den Luftraum.

Die USA verlegen sich deswegen darauf, wieder stärker gegen den Öl- und Benzinschmuggel durch den IS vorzugehen, eine der wichtigsten Einnahmequellen der Terrormiliz. Sie bombardierten in den vergangenen Tagen mehr als 100 Tankwagen und mobile Raffinerien im Grenzgebiet zur Türkei und nach Irak und übermittelten Frankreich Zielkoordinaten für weitere Angriffe. Bisher hatten die USA eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt. Um die Umwelt zu schonen und nicht die Infrastruktur eines künftigen syrischen Staates zu zerstören attackierten sie Ölfelder und wichtige Fördereinrichtungen nur sporadisch. Auch hängen Millionen Menschen im Herrschaftsgebiet des IS gerade auch angesichts des nahenden Winters von Treibstoff aus diesen Quellen ab.

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SZ vom 19.11.2015/cmy/ewid
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