Süddeutsche Zeitung

Syrien:Fahndung nach dem Folterknecht

Weltpremiere des Generalbundesanwalts: Deutschland erwirkt Haftbefehl gegen Assad-Geheimdienstler Jamil Hassan.

Von Lena Kampf, Berlin

Es gibt Momente, da zweifelt Munem Hillaneh daran, dass etwas wie Gerechtigkeit existiert. Er sitzt dann auf dem Sofa und raucht Zigarette um Zigarette, ein Folteropfer, ein Mann von fast sechzig Jahren, der alles erreicht hatte und dann alles verlor. In Damaskus war er ein erfolgreicher Anwalt, heute wohnt er als politisch verfolgter Flüchtling in einer kleinen Erdgeschosswohnung in Kiel, während seine Peiniger in Syrien einfach so weiter machen. Was also ändert es, dass er seine Geschichte wieder und wieder erzählt?

Doch dass die Täter des syrischen Foltersystems seit vergangener Woche in Deutschland nicht mehr sicher sind, hat Munem Hillaneh am Freitag erfahren. Der Generalbundesanwalt, in Deutschland zuständig für die Verfolgung von Terrorismusstraftaten und Kriegsverbrechen, hat erstmals gegen einen hochrangigen Funktionär des syrischen Regimes einen internationalen Haftbefehl erwirkt. Es ist weltweit der erste Schritt eines juristischen Organs gegen Vertreter der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Auf Antrag der Bundesanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit am Mittwoch erlassen. Er richtet sich gegen Jamil Hassan, den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdiensts. Er soll für systematische Folter und Misshandlung von Inhaftierten in den Gefängnissen des Luftwaffengeheimdiensts verantwortlich sein. Zunächst hatte der Spiegel über den Vorgang berichtet.

Munem Hillaneh hatte vor einem Jahr als Zeuge vor deutschen Ermittlern über seine Haft beim Geheimdienst ausgesagt. 13 Tage wurde er in einem Gefängnis gefoltert, das umgangssprachlich "Abteilung des Todes" genannt wird. Er wurde entlassen und konnte anschließend aus Syrien nach Deutschland fliehen. Die Süddeutsche Zeitung hat seine Geschichte im März 2017 umfassend dokumentiert. Hillaneh sagt, er habe nicht mehr damit gerechnet, dass sein Zeugnis etwas in Bewegung bringen würde. Dass nun ein mutmaßlich Verantwortlicher für die systematische Folter Tausender erstmals juristisch verfolgt würde, motiviere ihn, seinen Kampf für Gerechtigkeit weiter zu führen.

Dass die deutsche Justiz mit diesem Schritt eine Vorreiterrolle im Völkerstrafrecht übernimmt, zeigt, dass das Wissen über die Menschenrechtsverbrechen in Syrien in Deutschland wächst. Der Haftbefehl geht auf Strafanzeigen des in Berlin ansässigen European Centers for Human and Constitutional Rights (ECCHR) zurück, das 26 syrische Folterüberlebende vertritt, darunter Munem Hillaneh. Gemeinsam mit den syrischen Menschenrechtsanwälten Mazen Darwisch und Anwar al-Bunni hatten sie in den vergangenen Monaten beim Generalbundesanwalt insgesamt vier Strafanzeigen eingereicht, die sich gegen Jamil Hassan und 26 weitere Vertreter des Assad-Regimes richten. Die Anwälte hatten außerdem Beweismittel des Überläufers mit dem Decknamen "Caesar" übergeben, der als Fotograf für die Militärpolizei misshandelte und zum Teil bis zur Unkenntlichkeit gefolterte tote Menschen dokumentiert hatte.

Generalmajor Jamil Hassan, der einmal behauptete, ein härteres Vorgehen gegen die Protestierenden wäre zu Beginn der Aufstände nötig gewesen, ist seit 2009 Leiter des Luftwaffengeheimdiensts, einer von vier syrischen Geheimdiensten. Der Dienst gilt als eine Art Eliteeinheit und ist dem Verteidigungsministerium zugeordnet. Jamil Hassan soll in enger Verbindung mit den obersten Befehlshabern stehen, auch der Familie Assad. Der Geheimdienst ist auch für die Überwachung, Unterdrückung und Tötung Aufständischer zuständig. Zudem soll er Fahndungslisten erstellen und Deserteure ausfindig machen.

Jamil Hassan steht seit Mai 2011 auf der Sanktionsliste der USA und der Europäischen Union. Mit dem jetzt ergangenen internationalen Haftbefehl besteht eine Fahndungsnotiz von Interpol gegen ihn, eine sogenannte Red Notice, die Polizisten weltweit dazu auffordert, Hassan bei Kontrollen, etwa an Flughäfen, festzunehmen. Im Rahmen der internationalen Rechtshilfe könnte Hassan dann nach Deutschland ausgeliefert werden. Hassan müsste sich in diesem Fall wohl vor einem deutschen Gericht verantworten. Deutsche Staatsanwälte können Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Weltrechtsprinzip verfolgen, auch wenn weder Opfer, Täter oder Tatort einen Bezug nach Deutschland haben. Weil Syrien das sogenannte Rom-Statut zum internationalen Strafgerichtshof nicht ratifiziert hat, können die Verantwortlichen für die Verbrechen im Bürgerkrieg nicht in Den Haag angeklagt werden.

ECCHR-Anwalt Patrick Kroker, der zahlreiche Überlebende vertritt, sagte, nun könnten auch andere Verantwortliche in der Befehlskette zur Verantwortung gezogen werden. "Es ist das erste juristische Unwerturteil über das syrische Foltersystem." Sein Mandant Munem Hillaneh könnte in einem möglichen Verfahren als Nebenkläger auftreten.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2018
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