Syrien:Ende eines Albtraums in Raqqa

Houses destroyed by fighting between Syrian Democratic Forces and Islamic State militants are pictured in Raqqa

Ein zerstörtes Wohnhaus in der Altstadt von Raqqa.

(Foto: REUTERS)
  • Die einstige IS-Hochburg Raqqa steht unmittelbar vor der vollständigen Eroberung.
  • Sonntagmittag starteten die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) eine letzte Offensive. Binnen eines Tages wolle man die verbliebenen Kämpfer entweder töten oder gefangen nehmen, sagte ein Sprecher.
  • Um das Ende zu beschleunigen ließen sich die Gegner des IS auf einen Handel ein, den sie bis zuletzt zumindest öffentlich immer abgelehnt hatten.

Von Moritz Baumstieger

Nicht einmal mehr zwei Quadratkilometer sind den einst so hochmütigen Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staats (IS) in ihrer Kapitale geblieben: Ein paar zerbombte Straßenzüge nordwestlich der Altstadt von Raqqa, hier verteidigen sie noch immer das städtische Stadion, das sie von einer Sportstätte in ein Foltergefängnis verwandelten. Und noch immer halten sie den Naim-Platz gleich daneben - den großen Kreisverkehr, von dem das Kalifat 2013 erstmals Schockbilder in die Welt aussandte, als es hier Menschen enthaupteten ließ und die Köpfe auf Zaunpfählen aufgespießt ausstellte.

Doch auch dieses letzte Viertel werden die Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Kürze einnehmen, jenes Bündnis kurdischer, assyrischer und arabischer Milizen, das mit Luftunterstützung der internationalen Anti-IS-Koalition die Dschihadisten im Norden Syriens bekämpft. Sonntagmittag starteten sie eine weitere Offensive, laut einem Sprecher der kurdisch dominierten Truppe soll es die letzte sein: Binnen eines Tages wolle man die verbliebenen Kämpfer entweder töten oder gefangen nehmen, sagte er.

Um das Ende der IS-Herrschaft über die einstige 200 000-Einwohner-Stadt am Euphrat nach über vier Jahren zu beschleunigen, ließen sich die Gegner des IS auf einen Handel ein, den sie bis Ende vergangener Woche zumindest öffentlich immer abgelehnt hatten. IS-Kämpfer, die sich noch in der Stadt befänden, würden "ziemlich sicher dort sterben", hatte Brett McGurk vor wenigen Wochen gesagt, der Sondergesandte der USA für den Kampf gegen den IS. Was er damit meinte: Auf einen Deal, der Dschihadisten freien Abzug erlaubt, werde man sich nicht einlassen.

Ähnliche Übereinkünfte hatte Diktator Baschar al-Assad immer wieder mit Gegnern geschlossen: Zuletzt eskortierten Regimekräfte eine Gruppe von 300 IS-Kämpfern von der libanesischen Grenze im äußersten Westen Syriens bis in die Wüste im Osten des Landes, von wo sich die Kämpfer in die IS-Hochburgen im Euphrattal oder in den Irak durchschlagen wollten. Die USA versuchten den Konvoi durch Bombardements der Straßen zu stoppen, der Sondergesandte McGurk schrieb damals auf Twitter: "Unverbesserliche IS-Terroristen sollten auf dem Schlachtfeld getötet und nicht mit Bussen durch Syrien gefahren werden."

Nachdem am Freitag der Himmel über Raqqa erstaunlich ruhig blieb und zum ersten Mal seit Langem keine Bomben fielen, wurde bekannt, dass die Syrischen Demokratischen Kräfte mit der Zustimmung der USA nun genau so ein Abkommen geschlossen haben. Der von den SDF bereits für die Zeit nach dem IS eingesetzte Zivilrat von Raqqa habe gemeinsam mit arabischen Stammesältesten aus der Region vermittelt, bestätigte schließlich auch die internationale Anti-IS-Koalition.

IS-Mitglieder, die Raqqa verlassen wollten, würden von den SDF erfasst und durchsucht, hieß es in einer Stellungnahme. Obwohl man nicht befürworte, Kämpfern zu erlauben abzuziehen, ohne sie zur Rechenschaft zu ziehen, sorge man sich um die laut UN immer noch 8000 Zivilisten im IS-kontrollierten Teil Raqqas, so Brigadegeneral Jonathan Braga, Operationschef des Militärbündnisses: "IS-Terroristen haben sich drei Jahre hinter Frauen und Kindern versteckt - und wir sind auch gegen jegliche Vereinbarung, die ihnen das weiter erlaubt."

Verwirrung gab es zunächst darum, ob nur syrischen IS-Mitgliedern der Abzug erlaubt werden solle oder auch jenen, die aus dem Ausland zum Kämpfen kamen. Berichten zufolge hat sich vor allem Frankreich gegen einen Abzugsdeal für alle ausgesprochen - der französische Geheimdienst glaubt zu wissen, dass sich noch immer Verantwortliche für die Anschläge vom November 2015 in Paris in der Stadt befinden. Anscheinend zu Recht: Am Sonntag berichtete die von Aktivisten betriebene Internetseite "Raqqa24", dass sich sechs französische Kämpfer dem Abkommen mit den kurdischen Kräften verweigert und darauf bestanden hätten, in Raqqa weiter zu kämpfen - so wie etwa 250 bis 300 weitere ausländische IS-Mitglieder, die dort nun dem Tod entgegensehen.

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