Süddeutsche Zeitung

Syrien:"Die Menschen stehen bei null Grad auf der Straße und warten auf Hilfe"

Lesezeit: 2 min

Von Benjamin Moscovici, Dunja Ramadan und Deniz Aykanat

"Die Menschen sind obdachlos, bei sechs bis null Grad und Regen stehen sie auf der Straße und warten auf Hilfe", berichtet Adnan Wahhoud. Der 65-jährige Syrer lebt seit Jahren am Bodensee, er kam einst der Arbeit wegen nach Deutschland. Seit Ausbruch des Krieges reist der Ingenieur immer wieder in seine alte Heimat, um zu helfen, etwa mit medizinischer Ausrüstung. Das letzte Mal war er Anfang Dezember in Syrien. "Ich habe vor ein paar Minuten mit einer Bekannten telefoniert, die in Aleppo wohnt. Sie sagte mir, die Evakuierung sei erst einmal verschoben", erzählt Wahhoud.

Um 5 Uhr früh sollte es in Aleppo also eigentlich losgehen. Grüne Linienbusse mit dem Konterfei Baschar al-Assads auf der Heckscheibe standen schon in langen Kolonnen bereit. Sie sollen mittlerweile wieder in die Depots eingerückt sein - ohne irgendeinen Flüchtling in Sicherheit gebracht zu haben. "Keiner meiner Bekannten weiß, wann oder ob überhaupt etwas geschehen wird", sagt Wahhoud.

"Warum?", fragt Alhalabi. Dann antwortet er nicht mehr

Gegen 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit seien wieder Granaten eingeschlagen, man habe wieder neue Verletzte gesehen, berichtet Wahhouds Bekannte. Der Beschuss von Ost-Aleppo geht trotz Waffenruhe offenbar weiter. Iranische Milizen, die auf der Seite von Assads Regime kämpfen, sollen sich über die von Russland ausgehandelte Waffenruhe hinweggesetzt haben.

"Die Armee ist nah, sehr nah", schreibt Waisenhausleiter Asmar Alhalabi noch am Dienstagnachmittag per Whatsapp. Auf die Frage, ob es möglich sei, mit ihm zu telefonieren, fragt er: "Warum?" Warum solle er noch sprechen, warum sei es wichtig, dass die Menschen außerhalb von Aleppo von ihrem Schicksal hörten, wenn es ja doch nichts bringe. "Warum?", fragt er. Dann antwortet er nicht mehr.

Mehrere Hilfsorganisationen und die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichten, dass die Räumung noch gar nicht begonnen habe oder sich zumindest massiv verzögere. Die UN erklärten gar, sie stünden zur Hilfe bereit, seien bisher aber nicht in die Evakuierungspläne eingebunden.

Hilfsorganisationen haben keine Informationen über die Lage

Die Hilfsorganisationen scheinen angesichts der neuerlich ausgebrochenen Kämpfe hilflos. Weder bei den Ärzten ohne Grenzen noch beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gibt es auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung jemanden, der die aktuelle Lage in Aleppo einschätzen kann.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat zwar sowohl ein Büro in Damaskus als auch im Westteil der umkämpften Stadt Aleppo, aber auch dort haben die Helfer dem Vernehmen nach keine Informationen über die aktuelle Lage in den verbliebenen Rebellengebieten im Osten der Stadt.

Weder in der Zentrale in Genf noch im Regionalbüro in Jordanien weiß man Bescheid, was mit den Menschen passiert, die derzeit in der Kälte darauf warten, aus der zerstörten Stadt in Nordsyrien gebracht zu werden.

Conny Lenneberg von der Hilfsorganisation World Vision war bis vor Kurzem noch im türkischen Gaziantep nahe der syrischen Grenze. Von dort aus organisiert World Vision Hilfslieferungen für die Flüchtlinge. "Wir werden derzeit nicht über die Grenze gelassen. Wir sind vorbereitet, aber die ganzen Versorgungsgüter nach Syrien zu bringen, würde ein Woche dauern. In Gaziantep hat es schon angefangen zu schneien." Und auch in Syrien ist es schon bitterkalt. Gerade Kinder würden eine Woche in solchen Zuständen ohne Versorgung nicht überleben. Selbst wenn sie aus Ost-Aleppo endlich fliehen könnten.

Der belagerte Teil Ost-Aleppos sei sehr klein und derzeit traue sich ohnehin niemand, ihn zu verlassen, sagt Wahhoud, der Syrer, der am Bodensee bange auf Nachrichten aus seiner alten Heimat wartet. "Die Leute bleiben zusammen, das ist ihr einziger Schutz." Die Menschen hätten Angst, sonst von iranischen Milizen gefangen genommen zu werden. "Die Welt muss diesen Menschen zu Hilfe eilen und sie endlich von diesem Unglück befreien."

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