Syrien:Der Macht so nah

Syrien: Jarmuk war mal Heimat von mehreren Hunderttausend Menschen. Ein Großteil ist geflohen.

Jarmuk war mal Heimat von mehreren Hunderttausend Menschen. Ein Großteil ist geflohen.

(Foto: AFP)

Der Islamische Staat rückt in ein palästinensisches Flüchtlingslager vor, in dem etwa 18 000 Menschen leben. Die Terrortruppen des IS stehen damit nur noch 15 Kilometer vom Präsidentenpalast in der Nähe von Damaskus entfernt.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Menschen haben kein Wasser und keine Nahrung mehr. Sie verkriechen sich in ihren Häusern - oder dem, was davon übrig ist. Sie fürchten die Fassbomben des syrischen Regimes ebenso wie die Dschihadisten des Islamischen Staats. Für sie geht es nur noch ums blanke Überleben. So beschreiben Vertreter der Vereinten Nationen die Situation im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in den südlichen Außenbezirken der syrischen Hauptstadt Damaskus. Ohnehin schon schwer getroffen vom Bürgerkrieg, ist es in den vergangenen Tagen zum Schauplatz einer neuen Katastrophe geworden, der Tausende Menschen zum Opfer fallen könnten, wenn nicht bald Hilfe kommt. "Mehr als unmenschlich" sei die Lage dort, sagt Christopher Gunness, Sprecher des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA).

Am 1. April waren die Schergen des Terror-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi in die Flüchtlingssiedlung vorgerückt. Die mit al-Qaida verbundene Nusra-Front ließ sie gewähren, obwohl sich die beiden Gruppen sonst befehden. Offiziell erklärte sich die Nusra-Front für neutral. In den vergangenen Tagen tobten nun schwere Kämpfe in dem etwa zwei Quadratkilometer großen Gebiet, das einmal die Heimat von mehreren Hunderttausend Menschen war. Kämpfer der palästinensischen Aknaf Beit al-Maqdis, einer mit der Hamas in Gaza verbundenen Gruppe, und der Freien Syrischen Armee stellten sich den Dschihadisten entgegen. Das syrische Regime warf von Hubschraubern aus inzwischen mehr als zwei Dutzend Fassbomben ab.

Das Lager, eine Ende der Fünfzigerjahre errichtete Siedlung aus Betonbauten für 1948 aus Israel vertriebene Palästinenser, liegt nur zehn Kilometer von der Innenstadt und 15 Kilometer vom Präsidentenpalast entfernt. Näher sind die Dschihadisten dem Machtzentrum des Regimes in vier Jahren des Bürgerkriegs nie gekommen. Sie sollen etwa 90 Prozent des Camps unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Zuvor hielten Rebellen-Gruppen etwa drei Viertel des Gebiets, regierungstreue Truppen den Rest. Das Regime hatte das Lager umstellt und von der Versorgung abgeschnitten, nachdem Ende 2012 Rebellen der Freien Syrischen Armee eingesickert waren und sich mit einer Palästinenser-Organisation verbündet hatten. Andere Palästinenser-Gruppen und die Armee lieferten sich schwere Gefechte mit ihnen. Ein Großteil der Bewohner floh aus dem zu Ruinen zerbombten Viertel.

Heute sind dort nach Schätzungen der UN noch immer 18 000 Menschen gefangen, Palästinenser wie Syrer, unter ihnen 3500 Kinder. Sie müssten mit 400 Kalorien am Tag auskommen, wie UNRWA-Generalkommissar Pierre Krähenbühl dem UN-Sicherheitsrat berichtete - viele sind akut vom Hungertod bedroht. Der Sicherheitsrat verlangte von den Konfliktparteien, Zugang für humanitäre Hilfe zu gewähren. Krähenbühl räumte allerdings ein, dass dies ein schwieriges Unterfangen sei. UNRWA hat keinen direkten Kontakt zum Islamischen Staat, auch ist kaum wahrscheinlich, dass die Dschihadisten dem Aufruf folgen würden. Sie verbreiteten stattdessen Bilder von Enthauptungen palästinensischer Kämpfer.

Angesichts der strategischen Bedeutung des Lagers ist unklar, ob das Regime bereit ist, nach mehr als 700 Tagen seinen Belagerungsring zu lockern. Eine Delegation der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO reiste nach Damaskus, um einen humanitären Korridor zwischen den Regime und den Palästinensergruppen auszuhandeln, die bislang gegen Präsident Baschar al-Assad gekämpft hatten. Nur wenigen Hundert Bewohnern ist bislang die Flucht gelungen.

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