Süddeutsche Zeitung

Syrien:Der Held von Aleppo ist tot

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Von Moritz Baumstieger, München

Die Geschichte, mit der Khaled Omar Harrah im Sommer 2014 bekannt wurde, war eine Geschichte der Hoffnung - auch, wenn das Wort vielen Menschen in Aleppo schon fremd geworden war. Ein Video zeigte den damals 29-Jährigen in leicht verwackelten 38 Sekunden, wie er einen Säugling mit bloßen Händen aus dem Trümmerstaub nach einem Bombenangriff grub. Der Rest war Geschrei: Erst brüllte das Baby, dann riefen die Umstehenden "Allahu akbar", Gott ist groß - nicht als Kampfesruf, sondern, um ihre Erleichterung und ihr Staunen über das Wunder auszudrücken.

Harrah war ein Mitglied der "Civil Defense Forces", die auch unter dem Namen "Weißhelme" bekannt sind. Die Gruppe steht im grausamen Krieg um Aleppo zwischen den Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und den Rebellen an vorderster Front. Nicht etwa, um mit Waffen zu kämpfen, sondern im Gegenteil, um den zivilen Opfern zu helfen. Die Weißhelme gehen unmittelbar nach oder gar während Angriffen hinaus, um in den Trümmern nach Überlebenden zu suchen. Nach eigenen Angaben haben sie schon fast 60 000 Menschen das Leben gerettet.

"Für mich ist das der echte Dschihad"

An jenem Tag im Juni 2014 hatte Harrah eigentlich schon aufgegeben. Neun Stunden hatte er in den Trümmern eines Wohnhauses nach dem erst zehn Tage alten Mahmud Ibildi gesucht, als er sich völlig erschöpft auf den Boden legte, um sich auszuruhen. "Ich dachte, ich würde halluzinieren, so müde war ich", erinnerte sich Harrah später im Interview mit dem Onlinemagazin vocativ. "Ich rief einen Freund: Hör mal, leg' dein Ohr an diese Stelle. Ich glaube, ich höre das Baby!" Harrah grub weiter, stemmte Betontrümmer mit Wagenhebern in die Höhe, hatte bei fast jeder Bewegung Angst, den kleinen Mahmud unabsichtlich zu zerquetschen. Nach weiteren drei Stunden Arbeit filmte ein Helfer die 38 Sekunden, die Harrah berühmt und die Tragödie Aleppos für kurze Zeit weltweit wieder etwas präsenter machten.

Heute, zwei Jahre später, schaut die ganze Welt auf Aleppo - von Hoffnung ist aber noch weniger die Rede als damals. Sowohl Armee, als auch Rebellen versuchen, den Gegner in der geteilten Stadt zu umzingeln und auszuhungern. Den zwei Millionen in der Stadt verbliebenen Zivilisten mangelt es an Trinkwasser, Strom, Nahrung und medizinischer Versorgung. Von einer seitens der mit Assad verbündeten Russen verkündeten Waffenruhe von drei Stunden täglich ist wenig zu spüren, die Kämpfe eskalieren. Am Donnerstag versuchte Khaled Omar Harrah noch, den Opfern eines angeblichen Chlorgas-Angriffs der Armee zu helfen. "Für mich ist das der echte Dschihad", sagte Harrah einmal über seine Hilfstätigkeit. "Wenn ich beim Lebenretten sterben sollte, wird Gott mich als Märtyrer sehen."

Khaled Omar Harrah starb nun am Donnerstag bei einem Bombenangriff in Aleppo. Er wurde 31 Jahre alt und hinterlässt eine Frau und eine dreijährige Tochter.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2016
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