Syrien:Das Fundament des Regimes

Syrien: Syrische Rebellen gehen vor einem Kampfjet der syrischen Armee in Deckung

Syrische Rebellen gehen vor einem Kampfjet der syrischen Armee in Deckung

(Foto: AFP)

Noch ermöglicht die Luftwaffe der syrischen Armee, die Rebellen in Schach zu halten. Ein Militärschlag könnte dieses Kräfteverhältnis stark verändern. Doch Syrien hat sich im Bürgerkrieg schon längst zum Milizenstaat gewandelt. Das kann eigentlich nicht im Interesse der Amerikaner liegen.

Von Sonja Zekri, Kairo

Die USA und Großbritannien gehen davon aus, dass Baschar al-Assad den Giftgasangriff von Ghuta verübt hat. Das macht die beiden Mächte bei Assads Gegnern aber nicht populärer. Der Kampf gegen "säkulare Apostaten und ihre Helfershelfer" gehört nicht nur bei Scheich Sahran Allusch, dem Kommandeur der mächtigen Liwa al-Islam-Brigade (Banner des Islam) zum Standard: Wer einen Militärschlag des Westens begrüßt, wird damit zum Verräter. Und aus der al-Qaida-nahen libanesischen Gruppe Fateh al-Islam, die ebenfalls in Syrien operiert, schickt Abu Baker eine Warnung an die eigenen Leute. Wie im Irak, wie in Afghanistan meine Amerika es diesmal ernst, aber: "Nach jeder Rakete, die auf Assads Anlagen geschossen wird, zielt eine weitere auf uns."

Was die politischen Sympathien in Washington angeht, liegen die Dschihadisten damit wahrscheinlich annähernd richtig. Botschaften wie diese sind in Washington das stärkste Argument gegen ein größeres militärisches Engagement.

Obwohl sich die Militärschläge auf wenige Tage und Ziele beschränken sollen, wächst in Damaskus die Sorge. Während ganze Landesteile in Trümmern liegen, war das Zentrum von Damaskus, von gelegentlichen Anschlägen abgesehen, vergleichsweise ruhig. Auch am Mittwoch berichten Agenturen über Staus und Gedränge, die Routine der Großstadt, aber viele Menschen bunkern Lebensmittel oder planen die Flucht.

In den Vororten sehnen viele ein Eingreifen herbei

Was, wenn Iran und Russland - Assads Verbündete - reagieren? Was, wenn aus Damaskus ein zweites Tripolis wird? Libyens Hauptstadt wankte unter Monaten des Bombardements. Zu den vielen Gerüchten aus Syrien zählt auch die Anweisung Assads, Truppen in historischen Stätten und Gefangene vor strategischen Zielen zu positionieren. Auch dies erinnert an Gaddafis letzte Monate.

In den Vororten hingegen sehnen viele ein Eingreifen von außen herbei. Assad hatte den ländlichen Rand der Hauptstadt seit Monaten bombardieren lassen, zuletzt, so sehen jedenfalls die USA und Großbritannien die Urheberschaft, sogar mit Giftgas. Die Menschen seien des Terrors müde, schlimmer könne es nicht werden, heißt es bei vielen: Alles sei willkommen, was Assad schwäche.

Aber wenn ein Militärschlag nicht - wie die Dschihadisten befürchten - beiden Seiten gilt, dürfte er das Kräfteverhältnis in Syrien stark verändern. Das kann eigentlich nicht im Interesse der Amerikaner liegen, da sie bei den islamistischen Rebellen wenig Freunde haben. Vor allem die Beschädigung oder Zerstörung der Flughäfen könnte den Assad-Gegnern aber Luft verschaffen: Hier starten die Kampfflieger, die selbst die "befreiten" Gebiete menschenleer bomben, hier ist der Umschlagplatz für Waffen, Truppen, Nachschub für ein großes Land.

Die Schlagkraft der syrischen Armee ist nur noch halb so groß

Assads Streitkräfte sind heute anfälliger für Angriffe als vor zwei Jahren. Nominell ist es noch immer eine der größten Armeen des Nahen Ostens, aber nach einer Schätzung des International Institute for Strategic Studies (IISS) in London vom März 2013 ist ihre Schlagkraft nach zwei Jahren Bürgerkrieg nur noch halb so groß. Sie ist geschwächt durch Desertion und Verluste. Überläufer, die heute in den Reihen der Rebellen kämpfen, haben berichtet, dass einige Verbände ihre Kasernen gar nicht erst verlassen - im Kampf von Syrern gegen Syrer gelten sie als unzuverlässig.

Von den einst 325.000 Mann sind laut IISS heute noch 178.000 einsatzfähig, unter ihnen 50.000 Soldaten von Eliteeinheiten wie der Republikanischen Garde, der 3. und 4. Division. Noch immer verfügt Assad über Tausende Panzer und ein großes Raketenarsenal, dessen Kommandozentrale im Norden des Landes liegt. Die Luftwaffe hat in den vergangenen Jahren fast 200 Flugzeuge verloren und verfügt noch über 365 Flugzeuge oder Hubschrauber.

Die reguläre Armee aber ist nur ein Fundament des Assad-Regimes. Syrien hat sich zum Milizenstaat gewandelt. Zehntausende Irreguläre kämpfen für Assad, zuletzt nominell zusammengefasst unter der Bezeichnung der Nationalen Verteidigungskräfte. Dazu gehören nicht nur jene berüchtigten "Schabiha", Geister, eine aus der Küstenstadt Latakia stammende Gang von Kriminellen, die zum Synonym geworden sind für Assads Männer fürs Grobe. Der schwedische Politologe Aron Lund hat beobachtet, wie das Warlord-Wesen in Städten und Vororten ein Eigenleben gewinnt. Meist gehören diese Leute den Alawiten an wie Assad, jener schiitischen Sekte, gegen die sich der Hass der sunnitischen Mehrheit richtet.

Aber in Quseir kämpften Christen gegen die Opposition, in Aleppo terrorisierte ein sunnitischer Mafia-Clan die Menschen, bis seine Mitglieder selbst umgebracht wurden. Auf Assads Seite kämpfen schiitische Milizen, der militärische Flügel der Baath-Partei, alawitische Gangster-Könige. Noch ist die Loyalität dieser Verbände durch den Personenkult um Assad zusammengehalten, durch Geld und die Angst vor der Rache der Rebellen.

Warlords agieren als Subunternehmer des Krieges

Sollte die Auflösung des syrischen Staates aber fortschreiten, könnten sich einige dieser Subunternehmer des Krieges auf ihre lokale Größe besinnen und bei neuen Arbeitgebern anheuern - bei einem noch größeren Warlord, einem anderen Staat, vielleicht sogar bei der Opposition, sagt Lund.

Dass Assad die Kontrolle über sein gesamtes Land zurückerobert, halten selbst jene für ausgeschlossen, die einen langen Krieg erwartet haben. Seit Monaten konzentriert sich das Regime auf Zentralsyrien von der jordanischen Grenze bis zur Küste um Latakia und Tartus, das Herzland der Alawiten, "Alawistan". Die Aufständischen kontrollieren den Norden, den Euphrat hinab bis zum Irak. Dabei galten die Dschihadisten lange als stark um Aleppo oder die Stadt Raqqa. Die Kurden wiederum beherrschen einzelne Regionen im Norden an der Grenze zur Türkei.

Hunderte Brigaden kämpfen in Syrien, entweder unter dem Dach der Freien Syrischen Armee oder in dschihadistischen Verbänden wie die Nusra-Front. Sie haben nicht mal auf dem Schlachtfeld ein gemeinsames Ziel: Die Dschihadisten haben sich Gefechte mit den Kurden geliefert, andere Rebellenkommandeure umgebracht. Assads Ende, so fürchten viele, wäre nur der Anfang des nächsten Krieges.

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