Süddeutsche Zeitung

Syrien:Bröckelnde Waffenruhe

Gefechte überschatten die Syrien-Gespräche in Genf, in einigen Regionen wird wieder gekämpft. Die Konfliktparteien weisen sich gegenseitig die Schuld zu.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Neue schwere Kämpfe in Syrien gefährden die Waffenruhe und lassen die Erfolgsaussichten der Friedensgespräche in Genf fraglich erscheinen. Zu Gefechten und Luftangriffen durch das Regime kam es in den vergangenen Tagen etwa in der Region Aleppo, einem von Rebellen gehaltenen Gebiet nördlich von Homs, bei Hama und in östlichen Vororten von Damaskus. Frankreich und die Opposition gaben dem Regime von Baschar al-Assad die Schuld für die Eskalation. Die USA zeigten sich besorgt, dass in Aleppo auch Gruppen attackiert würden, die unter den Schutz der Waffenruhe fielen. Dagegen warfen das Regime und Iran den Rebellen vor, gemeinsam mit der Nusra-Front Einheiten anzugreifen, die der Regierung gegenüber loyal sind. Die Nusra-Front ist der syrische Arm des Terrornetzwerks al-Qaida und von der Waffenruhe ebenso ausgenommen wie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Vielerorts hat die Waffenruhe den Menschen die erste Atempause seit Jahren gebracht, auch wenn sie nie vollständig eingehalten wurde. An einigen Orten haben die Kämpfe inzwischen aber wieder die frühere Intensität erreicht. Das Regime zieht Truppen um Aleppo zusammen und hat angekündigt, die Stadt mit russischer Hilfe vollständig einnehmen zu wollen; Russland teilte dagegen mit, es gebe keine Pläne für eine Eroberung. Bei Aleppo kämpfen für das Regime derzeit vor allem schiitische Milizen, darunter die libanesische Hisbollah sowie afghanische Söldner, aber auch reguläre iranische Soldaten. Die USA und ihre Verbündeten in der Region überlegen indes, die Rebellen mit Flugabwehrraketen und anderen Waffen auszustatten, sollte die Waffenruhe zusammenbrechen. Die Tatsache, dass solche Erwägungen öffentlich werden, soll zweifellos den Druck auf Russland erhöhen, seinen Einfluss in Syrien geltend zu machen.

Die UN werfen dem Regime vor, verstärkt Hilfskonvois in belagerte Gebiete zu blockieren und zudem systematisch medizinische Güter aus den Lieferungen zu entfernen. Westliche Diplomaten, die mit den Genfer Verhandlungen vertraut sind, weisen darauf hin, dass das Regime Gebiete weiter komplett von jeder Hilfe abschneidet. Dies betreffe vor allem Orte, die von islamistischen Milizen kontrolliert werden, die in der Oppositionsdelegation in Genf vertreten sind, und wird deshalb als Versuch gesehen, das Hohe Verhandlungskomitee zu spalten.

Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura hat angekündigt, dass es nun um konkrete Fortschritte in Richtung eines politischen Übergangs gehen soll; bis zum Sommer soll ein Entwurf für eine neue Verfassung vorliegen. Allerdings lehnt das Regime jede Diskussion über die Zukunft Assads ab, auch Iran bezeichnet dies als "rote Linie". Bislang weigert sich die Regierung auch, direkt mit der Opposition zu verhandeln. Das Regime ließ am Mittwoch turnusgemäß Parlamentswahlen in den von ihm kontrollierten Gebieten abhalten, die aber keine Auswirkungen auf Assads Macht haben werden. Selbst die vom Regime geduldete Opposition rief zu einem Boykott der Abstimmung auf.

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SZ vom 14.04.2016
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