Süddeutsche Zeitung

Syrien:Aus dem allerletzten Kreis der Hölle

Ein Fotograf zeigt mit seinen Bildern von Folteropfern des Assad-Regimes den täglichen Horror des Bürgerkriegs. Eine Journalistin hat den Mann mit dem Decknamen Caesar aufgespürt und zu seinen Motiven befragt.

Von Tomas Avenarius

Schon zu Beginn des Bürgerkriegs hatte der Herrscher angekündigt, was er seinem Volk antun würde: "Aufruhr zu unterdrücken ist die nationale, moralische und religiöse Pflicht. Jeder, der dazu nicht beiträgt, zählt selbst zu den Aufrührern." Es gebe da, sagte Syriens Staatschef Baschar al-Assad im März 2011, "weder Kompromiss noch Mittelweg".

Assad hat Wort gehalten. Der studierte Augenarzt, der per Erbfolge zum Präsidenten und mit Beginn des Arabischen Frühlings zum Bluthund geworden ist, herrscht nach fünf Jahren Bürgerkrieg und 250 000 Toten weiter. Er macht, wie angekündigt, alle Syrer haftbar, die nicht an seiner Seite stehen: Auch wenn er jede Verantwortung für und jedes Wissen um Folter und Mord in seinen Gefängnissen bestreitet, kann kein Zweifel an den vielhunderttausendfachen Verbrechen bestehen, deren Syriens Staatschef sich schuldig gemacht hat. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind seit 2011 etwa 60 000 Menschen allein in den Gefängnissen umgekommen, dazu kommen die Opfer der Fassbomben, der Scharfschützen und der vielen von der Leine gelassenen Milizionäre.

Zweifelsohne begehen auch die meisten von Assads Kriegsgegnern Gewalttaten, allen voran die obsessiven Kopfabtrenner vom "Islamischen Staat". Ob sich die Verbrechen des Regimes von den im Internet grell in Szene gesetzten Untaten der Dschihadisten unterscheiden, ist aber nicht der Punkt - Mord und Folter kennen keinen Gradmesser. Der Unterschied liegt in der Systematik, mit der der Präsident seine hinter Gefängnismauern arbeitende Todesfabrik betreibt. Was in Syriens Verliesen vor sich geht, ist bekannt, seit Anfang 2014 Zehntausende Fotos aus Haftanstalten und Armeekrankenhäusern auftauchten, die ein Militärfotograf außer Landes gebracht hatte: Erdrosselte, Erschossene, Totgeprügelte, Verhungerte, die meisten mit Foltermalen, offensichtlich alle echte oder vermeintliche Regimegegner.

Der internationale Aufschrei war laut und kurz. Die Bilder des unter dem Tarnnamen Caesar bekannt gewordenen Fotografen erschienen nur als weiterer Wegstein an Syriens Via Dolorosa. Und Assad antwortete auf die Frage nach der Verantwortung mit dreister Gelassenheit: "Wer sagt Ihnen, dass dies von der Regierung getan wurde und nicht von den Aufständischen? Wer sagt, dass es sich um tote Syrer handelt und nicht um andere Nationalitäten?"

Inzwischen liegen Caesars Fotos bei der unabhängigen Kommission für internationale Gerechtigkeit und Verantwortung, sie werden von Strafjuristen ausgewertet. Stephen Rapp, der als Ankläger an Sondertribunalen für Ruanda und Sierra Leone mitgewirkt hatte, sagte zu den Caesar-Fotos gesagt: "Ich hab niemals so schlagende Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen." Sollte Assad also jemals zur Rechenschaft gezogen werden, dürften die Fotos entscheidende Beweise sein.

Caesar selbst ist aus Sicherheitsgründen abgetaucht. Die französische Journalistin Garance Le Caisne, die für Le Journal du Dimanche und L'Obs arbeitet, gab sich damit nicht zufrieden. Sie fand ihn nach halbjährigem Werben über Kontaktpersonen, interviewte ihn via Skype. Was sie nach diesen mehr als vierzigstündigen Gesprächen in ihrem Buch "Codename Caesar - im Herzen der syrischen Todesmaschinerie" zu Papier gebracht hat, sind Berichte aus dem allerletzten Kreis der Hölle: den Verliesen des syrischen Folterstaats. Niemand wüsste etwas über die Opfer, wären da nicht wenigstens die Schicksale, von denen Caesar und einige der überlebenden Häftlinge der französischen Journalistin stellvertretend erzählt haben.

Der Mann, der sich hinter dem Decknamen verbirgt, hatte in Damaskus im Dienst der Militärpolizei als Dokumentar von Verkehrsunfällen Dienst getan, bevor ihm befohlen wurde, die Leichen der in der Haft zu Tode Gequälten zu fotografieren. Ihr Schicksal war auf Anweisung von oben lückenlos zu dokumentieren. Wie die Schergen aller Diktaturen sind Assads Folterer krankhaft bemüht, alles, selbst die auch nach syrischem Recht fraglos strafbaren eigenen Verbrechen - als befehlsgemäß vollzogen festzuhalten.

Daher musste Caesar die in Hallen oder Höfen abgelegten Leichen tagtäglich nach den immer selben bürokratischen Vorgaben ablichten und ihren Tod in den ewig selben Formularen festhalten: einer mehr, mit einer auf die nackte Haut geschriebenen Kennnummer. Manchmal waren es um die 50 Leichen am Tag. Der Tod per Fotografie belegt, ein Schicksal archiviert, ein Verbrechen zu den Akten gelegt. Das Ganze abgeschlossen mit der Unterschrift eines Arztes, der klassischen Herztod attestiert.

Leseprobe

Einen Auszug aus "Codename Caesar" stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Dass Caesar mithilfe mutiger Freunde Zehntausende dieser Digitalaufnahmen von Leichen und Dokumenten auf USB-Sticks und Festplatten kopieren und in ein Nachbarland Syriens und später nach Europa schaffen konnte, ist das einzig Erfreuliche in einer Tragödie, die sich bis heute fortsetzt. Caesar mit seinen Fotos, seinen Aussagen und mit eben diesem Buch ist Kronzeuge gegen einen der übelsten Gewaltherrscher der jüngeren Zeit: Assad betreibt eine Todesmaschinerie, die, wenn nicht auf seinen ausdrücklichen Befehl, dann zweifelsohne mit seinem Wissen seit 2011 mit der höchstmöglichen Umdrehungszahl arbeitet. Caesar selbst hat gesagt, warum er sein eigenes Leben im Angesicht dieses tagtäglichen Horrors auf Spiel gesetzt hat: "Die Wahrheit wird siegen. (. . .) Ein Recht ist erst verloren, wenn keiner mehr aufsteht, dafür einzutreten."

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Quelle:
SZ vom 13.06.2016
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