Syrien:Assads Krieg gegen Zivilisten

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Trauernder Einwohner der syrischen Stadt Aleppo nach der Explosion einer Fassbombe im April 2015.

(Foto: Reuters)

Die syrische Armee von Machthaber Assad setzt Fassbomben gegen die eigene Bevölkerung ein und treibt Hunderttausende aus dem Land. Dagegen kann auch Deutschland etwas tun.

Gastbeitrag von Kenneth Roth

Die große Mehrheit der Flüchtlinge, die derzeit nach Europa strömen, kommt aus Syrien. Deutschland hat sie großzügig aufgenommen. Doch angesichts des Ausmaßes dieser Flucht - vier Millionen Menschen sind vor den alltäglichen Kriegsgräueln in Syrien bereits geflohen, viele mehr werden folgen - müssen wir uns endlich ihren Ursachen zuwenden.

Eine Koalition westlicher und regionaler Mächte bekämpft heute den sogenannten Islamischen Staat (IS). Der UN-Sicherheitsrat hat Sanktionen gegen die al-Qaida-nahe Nusra-Front beschlossen. Doch bislang hat es kaum Bemühungen gegeben, den Schreckenstaten der Regierung von Baschar al-Assad Einhalt zu gebieten.

Auch im Krieg gelten Regeln, festgehalten in den Genfer Konventionen. Werden sie eingehalten, dann sind die meisten Opfer eines Krieges Kombattanten - Menschen, die sich dazu entschieden haben zu kämpfen. Der Krieg in Syrien ist auch deshalb so verheerend, weil die Regierung Assad auch auf Zivilisten zielt, wenn sie in den von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten leben.

Es ist das ausdrückliche Ziel dieser Strategie, Menschen aus bestimmten Gegenden zu vertreiben und so anderen Syrern zu signalisieren: Wo die Opposition sich durchsetzt, wird angegriffen. Die Regierung macht sich damit eines Kriegsverbrechens schuldig.

Roth

Kenneth Roth, 60, ist Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Auf Twitter: @KenRoth. Übersetzung: Lea Frehse.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Assads verheerendste Waffe in diesem Krieg sind sogenannte Fassbomben - Kanister gefüllt mit Sprengstoff und Metallteilen. Helikopter werfen die Bomben ungesteuert aus großer Höhe, beim Aufprall am Boden verursachen sie gewaltige Explosionen. Zeitweise sind täglich Dutzende dieser Geschosse auf Oppositionsgebiete in Aleppo, Idlib, Daraa und anderswo niedergegangen und haben ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht.

Wo Märkte, Schulen, Kliniken und Wohnhäuser standen, sind nur Schneisen des Todes und der Zerstörung geblieben. In Schilderungen von Syrern ist immer wieder die Rede vom unermesslichen Grauen des Wartens: Die Fässer sind schon im Fall zu hören, doch erst kurz vor Schluss ist abzusehen, wohin sie den Tod tragen.

Warum es fragwürdig ist, Assad zu stützen, um den IS zu bekämpfen

Auch der rücksichtslose Einsatz anderer Waffen durch verschiedene Kriegsparteien tötet Zivilisten. Doch Assads Fassbomben treiben besonders viele Syrer aus ihrem Land.

Während es Zivilisten in den meisten Kriegsgebieten zu einem gewissen Grad möglich ist, abseits der Front Schutz zu suchen, nimmt Assads Bombardement bis tief hinein in Oppositionsgebiete den Menschen jeden Rückzugsraum. Wenn die internationale Gemeinschaft den Flüchtlingszustrom eindämmen will, dann gibt es dazu kaum ein besseres Mittel, als Assads Fassbomben zu stoppen.

Bislang aber gibt es dahin gehend kaum Bemühungen. Assads wichtigste Unterstützer, Russland und Iran, lehnen jeglichen Druck auf das Regime ab - und liefern weiter Waffen. Die westlichen Staaten haben es bislang vermieden, Syrien allzu deutlich an den Pranger zu stellen oder mit Sanktionen zu belegen.

Selbst jetzt, da Washington Moskau mahnt, die Syrienpolitik mit den Anti-IS-Operationen zu koordinieren, erwähnen die Amerikaner die Fassbomben nicht. Auch in der EU heißt es immer wieder, man wolle die "Fluchtursachen bekämpfen", bislang aber hat die Staatengemeinschaft wenig getan, um die Gräuel zu beenden, vor denen Syrer fliehen. Dabei hat der UN-Sicherheitsrat bereits im Februar 2014 dazu aufgerufen, den "rücksichtslosen Einsatz von Waffen in bewohnten Gebieten (...) darunter den Einsatz von Fassbomben" zu beenden.

Doch in der Praxis wurde nichts getan, um den Beschluss durchzusetzen. Unter der Führung Frankreichs bringen westliche Regierungen nun eine neue Resolution vor den Rat. Sie würde es den Vereinten Nationen erlauben, willkürliche Angriffe, insbesondere mit Fassbomben, zu beobachten und, sollten diese nicht aufhören, Sanktionen zu beschließen. Russland hat dagegen allerdings bereits mit einem Veto gedroht - und scheint gleichzeitig seinen militärischen Einsatz für Assad zu erhöhen.

Der Westen sollte Russland dieses Veto so schmerzhaft wie möglich machen. Eine Gelegenheit dafür bietet sich schon Ende des Monats, dann nämlich wird Präsident Wladimir Putin in New York vor der UN-Generalversammlung sprechen. Auch wenn dessen martialische Töne es nicht vermuten lassen: Putin wird nicht als derjenige dastehen wollen, den das Leid unschuldiger Zivilisten kaltlässt.

Sollte Russland einen Vorstoß im Sicherheitsrat dennoch blockieren, liegt es an den westlichen Staaten einschließlich Deutschland, dieses Verhalten zu sanktionieren. Eine Möglichkeit wäre, weitere Waffenlieferungen an Moskau künftig zu unterbinden. Auch sollten die Regierungen des Westens weiter belastbare Beweise für die Gräueltaten des syrischen Regimes und die Komplizenschaft seiner Unterstützer sammeln. Sollte Russland auf seiner Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs bestehen, wird man neue Wege finden müssen, um die Verbrechen dieses Krieges zu ahnden.

Ein Grund dafür, dass der Westen dem Einsatz von Fassbomben bislang praktisch tatenlos zugesehen hat, liegt in der verbreiteten Angst, dass damit die syrische Regierung geschwächt und so dem Islamischen Staat geholfen würde. Diese Furcht ist unbegründet. Fassbomben sind so unpräzise, dass die Armee sie nahe der Front nicht einsetzt.

Genutzt werden sie in Wohngegenden, um Schrecken zu verbreiten. Tatsächlich spielt gerade Assads Geringschätzung gegenüber der eigenen Bevölkerung den Extremisten in die Hände. Der Islamische Staat und die Nusra-Front rekrutieren ihre Kämpfer, indem sie sich als Gegenpol zu Assads Gewaltherrschaft präsentieren.

Zu guter Letzt wäre es ein Irrtum, Assads Regierung mit dem syrischen Staat zu verwechseln. Die Entwicklungen in Libyen und im Irak haben gezeigt, wie wichtig ein funktionierender Staat ist, wenn es jenes Chaos zu verhindern gilt, in dem der Extremismus erst gedeiht. Ebenso bedarf es eines Staates, um die Grundrechte der Bevölkerung zu schützen. Ein Führungswechsel an der Spitze - ob durch Verhandlungen oder Strafverfolgung - aber muss nicht heißen, den syrischen Staat an sich zu zerstören.

Einige Stimmen behaupten, dass nur ein Friedensschluss, nicht ein einfaches Verbot, die Fassbomben stoppen könne. Natürlich ist Frieden ein erstrebenswertes Ziel. Doch glauben die wenigsten an eine baldige Verhandlungslösung. Bis dahin, so haben es mir die allermeisten Syrer gesagt, die ich gesprochen habe, ist es unsere dringendste Aufgabe, den Fassbomben ein Ende zu setzen. Nur so kann das Leid reduziert und der Flüchtlingszustrom gestoppt werden.

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