Währungskrise:Die fragile syrische Wirtschaft implodiert

Währungskrise: Verlorene Generation: Militärisch hat Assad den Konflikt gewonnen, doch wirtschaftlich verliert er. Viele Kinder müssen hungrig ins Bett gehen

Verlorene Generation: Militärisch hat Assad den Konflikt gewonnen, doch wirtschaftlich verliert er. Viele Kinder müssen hungrig ins Bett gehen

(Foto: Aaref Watad/AFP)

Die syrische Währung ist im Sinkflug, währenddessen steigen die Preise rasant: Für Machthaber Assad wird die Wirtschaftskrise zur Gefahr.

Von Moritz Baumstieger

Erst dümpelt die Linie vor sich hin, dann steigt sie sanft an, schließlich schießt sie fast senkrecht nach oben: Viele Bewohner der Gebiete unter Kontrolle von Machthaber Baschar al-Assad beobachten derzeit mit großer Sorge einen Graphen, der in seiner Form stark an die exponentiellen Ansteckungsverläufe in vielen Ländern am Anfang der Coronakrise erinnert.

Die Linie, die das Leben von Millionen Syrern in Gefahr zu bringen droht, visualisiert jedoch keine Covid-19-Fallzahlen - mit 125 Infizierten und bisher sechs Toten nach offiziellen Angaben hat das Bürgerkriegsland die Ausbreitung des Virus überraschend gut im Griff. Es ist eine Grafik zum Preis des Dollars, der aus syrischer Sicht geradezu explodiert: Zu Beginn des Krieges 2011 bekam man ihn noch für 50 syrische Pfund, bis zum Juni 2019 war der Preis auf 600 gestiegen. Die Tausendermarke fiel im Januar 2020, vergangene Woche ging es dann Schlag auf Schlag: 2000 Pfund kostete der Dollar am 3. Juni, 2500 schon drei Tage später. Am Montagmorgen waren die 3000 erreicht und bis zum Nachmittag verlor die Währung nochmals zehn Prozent ihres Werts.

Den militärischen Konflikt mag Assad nach neun Jahren Bürgerkrieg dank massiver russischer und iranischer Hilfe weitestgehend gewonnen haben, die bleierne Friedensordnung in seinem Rumpfstaat droht er nun jedoch zu verlieren: Mit der syrischen Landeswährung implodiert derzeit die fragile syrische Wirtschaft. Der Hunger ist angekommen in Damaskus und den Provinzen, im vor zwei Jahren befriedeten Süden des Landes treibt er bereits die Menschen auf die Straßen. Am Sonntag und Montag protestierten bei Daraa und Suweida nahe der jordanischen Grenze Tausende gegen steigende Preise - und forderten unverhohlen ein Ende des Assad-Regimes.

Die Lebensmittelkosten haben sich verdoppelt

Bereits vor dem freien Fall des syrischen Pfundes über das Wochenende zeichneten die Zahlen ein düsteres Bild: Die Lebensmittelkosten haben sich in den vergangenen sechs Monaten nach Angaben des Welternährungsprogramms verdoppelt, zugleich ist das Durchschnittseinkommen von 60 000 syrischen Pfund jetzt keine 20 Dollar mehr wert. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der von den Vereinten Nationen definierten Armutsgrenze.

"Wir sehen nun, dass Kinder abends hungrig zu Bett gehen", sagte bereits Ende Mai der UN-Chefkoordinator in Damaskus, Imran Riza, "das kannten wir vorher nicht." Ein Mitarbeiter einer seit Jahren im Land tätigen Hilfsorganisation berichtet der SZ, dass ihn die Lage in manchen Gegenden fast schon an die in jenen Rebellenenklaven erinnert, die im Verlauf des Syrienskriegs teils über Jahre von Regimetruppen belagert wurden. Damals habe Damaskus Hunger gezielt als Waffe eingesetzt, sagt er, "und das auch an die Menschen in den eigenen Gebieten kommuniziert: Sehr her, wie die Leute unter Rebellenkontrolle leben - bei uns hingegen wird jeder satt."

Davon kann keine Rede mehr sein: 9,3 Millionen der 17 Millionen Syrer stufen die UN mittlerweile als hungergefährdet ein, weitere 2,2 Millionen gelten als Risikogruppe. Viel besser dürfte es auch nach der beginnenden Erntesaison nicht werden, denn 72 Prozent des syrischen Weizens werden in jenen Gebieten angebaut, die unter Verwaltung der kurdischen SDF stehen und somit außerhalb Assads Kontrolle. Während das Regime den Bauern syrische Pfund für den Weizen in Aussicht stellen, zahlt die über die meisten syrischen Ölquellen verfügende kurdische Selbstverwaltung in Dollar - und dürfte somit der bei Weitem attraktivere Geschäftspartner sein.

Den Verfall von Währung und Wirtschaft befeuert haben Vorsichtsmaßnahmen, die eine Ausbreitung des Coronavirus verhindern sollten und die Wirtschaftskrise im Nachbarland Libanon, das syrische Privatpersonen und Firmen traditionell als Bank- und Geschäftsstandort für internationale Transaktionen nutzen. Um eine Währungsknappheit zu verhindern, geben libanesische Banken jedoch kaum mehr Geld aus und beschränken Transaktionen. Die für Importe von Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern benötigten Mittel syrischer Firmen in Libanon sind somit quasi eingefroren.

Das Regime in Damaskus selbst hingegen macht vor allem die Sanktionen für die Krise verantwortlich, die als Reaktion auf Kriegsverbrechen verhängt wurden. Damaskus etwa spricht von "ökonomischem Terrorismus", der das Leid des syrischen Volks vergrößere. Die EU etwa hatte ihre seit 2011 gültigen Sanktionen Ende Mai verlängert. Die sonst eher zu leisen Tönen neigenden Diplomaten des Europäischen Auswärtigen Dienstes veröffentlichten nun ein Video, in dem sie die Maßnahmen in recht deutlicher Sprache verteidigten: Europa belege keinesfalls die syrische Wirtschaft als Ganze mit Zwangsmaßnahmen, sondern 273 Einzelpersonen und 70 Organisationen, die direkt in Kriegsverbrechen involviert waren oder solche begünstigt haben. Zudem seien die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitglieder mit insgesamt 18 Milliarden Euro Hilfsleistungen die größten Spendengeber.

Zu einer politischen Lösung scheint das Regime nicht bereit

Weit stärker als die Erneuerung der EU-Maßnahmen dürften deshalb US-Sanktionen sein, die ausnahmsweise nicht einer Laune von Präsident Donald Trump entsprangen, sondern die Abgeordnete beider Parteien in einem monatelangen Verfahren im US-Kongress erarbeitet haben: Am 17. Juni tritt der sogenannte "Caesar Act" in Kraft, benannt nach einem desertierten syrischen Militärfotografen, der bei seiner Flucht mehr als 53 000 Bilder von Menschen, die unter Assad in den ersten Kriegsjahren zu Tode gefoltert wurden, ins Ausland geschmuggelt hat. Das Caesar-Gesetz zielt auf Personen und Firmen ab, die mit dem Regime Handel treiben. Es dürfte so die letzten Kanäle verschließen, durch die Damaskus bisher an Dollar und Güter kommt.

Zu einer politischen Lösung des Konfliktes und Reformen - eine Kernforderung der internationalen Gemeinschaft, um Sanktionen zu beenden und über Hilfe zum mindestens 250 Milliarden Dollar teuren Wiederaufbau zu reden - scheint das Regime von Baschar al-Assad dennoch nicht bereit. Während die Währung ins Bodenlose fiel, ließ Damaskus nahe der Rebellenenklave Idlib neue Truppen aufmarschieren. Und gab bekannt, dass neue Kampfjets einsatzbereit seien. Die MiG-29 hat Damaskus vom Partner Russland erworben - gebraucht, aber sicher nicht für umsonst.

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