Syrien:Assad soll Chlorgas eingesetzt haben

Smoke rises after an airstrike in the rebel-held town of Dael, in Deraa Governorate

Rauch steigt nach einem Luftangriff über der südsyrischen Stadt Dael auf, die von Rebellen gehalten wird.

(Foto: Alaa Al-Faqir/Reuters)

Es gibt neue Hinweise darauf, dass der syrische Machthaber mit Chemiewaffen gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht. Der jüngste Angriff traf Aleppo.

Von Moritz Baumstieger

Die verwackelten, mit Handykameras gefilmten Bilder aus Aleppo wiederholen sich fast auf wöchentlicher Basis: Menschen taumeln nach einem Luftangriff durch die voller Trümmerteile liegenden Straßen. Sie husten und keuchen, aber nicht nur wegen des Trümmerstaubs, der sie über und über bedeckt. Kinder müssen mit Sauerstoffmasken beatmet werden, Erwachsene scheinen sich die Lunge aus dem Leib zu würgen. Auch am Dienstag wurde wieder so ein Video hochgeladen, es stammt aus dem Stadtteil Sukkari im von den Rebellen gehaltenen Ostteil Aleppos. Und wieder lautet der Vorwurf, dass die Luftwaffe des syrischen Machthabers Baschar al-Assad Chemiewaffen gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt hat.

Diesmal sollen Hubschrauber mit Chlorgas präparierte Fassbomben abgeworfen haben, in der Nacht zum Mittwoch wurden in Ostaleppo 71 Verletzte medizinisch behandelt, unter ihnen 37 Kinder. Mittwochmittag berichtete dann Hamza al-Khatib, Leiter eines medizinischen Zentrums, dass das erste Opfer der Attacke gestorben sei. Chlorgas führt in geringen Dosierungen zu Atemnot und Lungenverätzungen, in höherer Konzentration kann es tödlich wirken. Das Opfer in Aleppo soll nach Aussagen des Mediziners letztlich an Herzversagen gestorben sein.

Bei einem neuen Luftangriff am Mittwoch starben in Sukkari mindestens zehn Menschen.

Berichte über den Einsatz von chemischen Waffen wie jener aus Aleppo können zeitnah nicht unabhängig überprüft werden. Sie stützen sich auf die Angaben von Aktivisten, Medizinern und Hilfsorganisationen, im Falle der mutmaßlichen Chlorgas-Attacke vom Dienstag berichtete Ibrahim Alhaj, ein Mitglied der Rettungsorganisation Weißhelme verschiedenen Agenturen, dass er bei der Abwurfstelle der Fassbombe vier Chlorgas-Zylinder gefunden habe. Am Mittwoch gab es zudem Berichte von Chlorgas-Attacken in den Orten Ein Tamar und Jobar, die im Umland der Hauptstadt Damaskus liegen. Auch hier soll eine Person an Giftgasfolgen gestorben sein. Das Assad-Regime bestreitet in allen Fällen, chemische Wirkstoffe eingesetzt zu haben. "Wir haben Waffen dieser Art nicht verwendet und werden dies auch niemals tun", hieß es in Armeekreisen am Mittwoch. Damaskus beruft sich darauf, bereits 2014 seine Chemiewaffen an eine UN-Agentur abgegeben zu haben.

Trotz der UN-Untersuchung ergriff der Sicherheitsrat keine Konsequenzen

Erst vergangene Woche kam eine UN-Kommission jedoch zu einem anderen Schluss: Sie hat neun Fälle von 2014 und 2015 untersucht, bei denen angeblich chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Einen Angriff konnte die Expertengruppe der Terrormiliz Islamischer Staat zuordnen, die wohl Giftgas aus Beständen der syrischen Armee erbeutet hat. In zwei weiteren Fällen sei die Urheberschaft des Regimes zweifelsfrei belegt, so der Abschlussbericht der Kommission. Bei mehr als 130 weiteren Meldungen vom Einsatz chemischer Waffen allein 2016 steht eine unabhängige Untersuchung hingegen noch aus. Trotz des Berichts konnte sich der UN-Sicherheitsrat zu keinerlei Konsequenzen entscheiden, die Vetomacht Russland fand die Beweislage gegen ihren Verbündeten Assad zu dünn.

Dessen Kräfte sind in der einstigen Wirtschaftsmetropole Aleppo wieder in der Offensive. Nachdem die Rebellen Anfang August den Belagerungsring von Assads Armee gesprengt hatten, ist der von ihnen gehaltene Ostteil der Stadt nun wieder von der Außenwelt abgeschnitten. Um in Aleppo Fortschritte zu erzielen, hat das Regime nach Einschätzung von Beobachtern massiv Kräfte verlagert, unter anderem aus der Region um Hama im Landeszentrum. Dort gelangen den Rebellen deshalb in den vergangenen Tagen größere Geländegewinne. Durch die heftigen Kämpfe zwischen ihnen und dem Regime sind nach UN-Angaben in den vergangenen acht Tagen weitere 100 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden. Die meisten seien in die benachbarte Provinz Idlib geflohen, die ebenfalls von Aufständischen kontrolliert wird. Viele Familien campieren nun dort auf Straßen oder in Parks.

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