Süddeutsche Zeitung

Syrien:Assad öffnet den Giftschrank

Lesezeit: 2 Min.

Erst auf weltweiten Druck hin lässt Syriens Machthaber von internationalen Inspektoren weitere Anlagen kontrollieren, in denen möglicherweise Chemiewaffen hergestellt werden können. Hat Assads Regime die Einrichtungen absichtlich unterschlagen?

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Vor gut einem Jahr willigte Syriens Machthaber Baschar al-Assad notgedrungen ein, seine Chemiewaffen unter internationaler Kontrolle vernichten zu lassen. Seine Schutzmacht Russland hatte das mit den Amerikanern ausgehandelt. Würde er den Deal akzeptieren, würden die USA auf die angedrohten Luftschläge verzichten - auch wenn das Regime zuvor von Rebellen gehaltene Vororte von Damaskus mit dem Nervenkampfstoff Sarin bombardiert und dabei Hunderte Menschen getötet hatte.

Die einsatzfähigen Chemiewaffen und Kampfstoffe des Regimes hat eine gemeinsame Mission der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) inzwischen vernichtet, zum größten Teil auch die Vorstoffe zu ihrer Herstellung. Doch dürften sich westliche Geheimdienste in einem lange gehegten Verdacht bestätigt sehen: Das syrische Regime hat nicht - wie damals zugesagt - alle Anlagen offengelegt, in denen für das Höllen-Arsenal geforscht oder produziert wurde. Bereits im August hatte das Weiße Haus erklärt, es gebe nach wie vor "ernste Fragen mit Blick auf Auslassungen und Unstimmigkeiten" in den syrischen Angaben.

Drei Forschungseinrichtungen und eine Produktionsstätte

Seit April prüft ein Team der OPCW, ob die Deklaration der Syrer vom vergangenen Oktober 2013 vollständig ist. Dazu reisten die Inspektoren etliche Male nach Damaskus und führten Gespräche mit Vertretern der Regierung. Am 30. September teilte die 2013 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation mit, "bestimmte Aspekte der anfänglichen syrischen Deklaration" bedürften weiterer Klärung. In der Nacht zum Donnerstag wurde nun klar, was gemeint war: Die UN-Koordinatorin Sigrid Kaag informierte den Sicherheitsrat, dass Syrien drei weitere Forschungseinrichtungen sowie eine Produktionsstätte angemeldet habe.

OPCW-Sprecher Michael Luhan sagte der Süddeutschen Zeitung, syrische Regierungsvertreter hätten in Gesprächen mit den Inspektoren "zugestimmt, drei Forschungseinrichtungen und eine Produktionsanlage für Rizin hinzuzufügen". Dies sei auf Grundlage "eines genaueren Verständnisses der Anforderungen der Chemiewaffen-Konvention" geschehen. Die syrische Regierung habe bei den Beratungen ein "zufriedenstellendes Maß an Kooperation" gezeigt. Ob die Syrer die Anlagen absichtlich unterschlagen haben, ist daraus nicht abzulesen. Vorstellbar ist aber, dass die Liste noch länger wird, denn die Gespräche zwischen Syrien und der OPCW dauerten an. Westliche Geheimdienste schätzen, dass es in Syrien 45 Einrichtungen gab, die mit dem Chemiewaffen-Programm in Verbindung standen. Unklar ist, wie viele davon Syrien nach der Chemiewaffen-Konvention hätte deklarieren müssen.

Wachsende Sorge, dass Anlagen in die Hände des IS fallen könnten

Ungeachtet dessen verstärkt die Nachmeldung der Syrer die Sorge, dass Anlagen aus dem Chemiewaffen-Programm Rebellengruppen in die Hände fallen könnten, insbesondere den Kämpfern Islamischen Staats. Die jetzt gemeldete Einrichtung zur Rizin-Produktion, deren Existenz im Juli bekannt geworden war, befindet sich in einem Gebiet, das nicht von der Regierung kontrolliert wird. Rizin ist ein extrem giftiges Protein, das aus den Samenschalen eines Baumes gewonnen werden kann. Außer bei Mord-Anschlägen durch Geheimdienste und Terroristen ist es nicht als Waffe eingesetzt worden. Allerdings haben die USA in beiden Weltkriegen daran geforscht, die Sowjetunion soll über einsatzfähige Waffen verfügt haben.

Die Bestände des Giftes in der syrischen Anlage sind laut syrischen Angaben vernichtet worden, bevor das Land der Chemiewaffen-Konvention beitrat. Die Regierung hatte die Einrichtung offenbar nicht gemeldet, weil sie damals nicht mehr in Betrieb war. Ob sich dort noch funktionsfähige Anlagen befinden, wollte die OPCW nicht kommentieren, westliche Diplomaten gehen aber davon aus, dass sie zerstört wurden. Die Anlagen zur Produktion, Abfüllung und Lagerung von Kampfstoffen in den zwölf deklarierten Einrichtungen haben die OPCW-Inspektoren unschädlich gemacht.

Dennoch wurden in Syrien im Frühjahr 2014 weiter "systematisch und wiederholt" giftige Chemikalien als Waffe eingesetzt. Ein OPCW-Team hat "überzeugende Informationen" gesammelt, dass bei mindestens acht Angriffen auf drei von Regierungsgegnern gehaltene Orte im Norden Syriens Chlorgas benutzt worden ist. Das Regime und die Rebellen haben sich dessen gegenseitig bezichtigt, die OPCW enthält sich einer Schuldzuweisung. Augenzeugen berichteten aber, das Chlor sei aus Fassbomben ausgeströmt, die Hubschrauber über den Orten abgeworfen hätten - eine Taktik, die nur von den Regierungstruppen bekannt ist.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2014
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