Syrien:Assad kämpft um sein Symbol der Stärke

Photos from Aleppo Syria An officer front in Syrian government forces attempts to stop photos bei

Regierungstreue Truppen reparieren am 18. Oktober in Aleppo einen Panzer

(Foto: imago/Kyodo News)

Mit russischer und iranischer Hilfe greifen Assads Truppen die Metropole Aleppo an. Ein Sieg wäre für das Regime die ersehnte Machtdemonstration.

Von Ronen Steinke

Man hört gespenstisch wenig von den Menschen, die gerade aus der zweitgrößten Stadt Syriens fliehen, dem traditionellen Zentrum der reichen sunnitischen Händler, Fabrikanten und Mäzene. 35 000 sollen es nach Schätzungen der Vereinten Nationen bereits sein - allein seit dem vergangenen Freitag. Aber nach dem Knall herrscht erst einmal Funkstille.

Die Bürger Aleppos, die seit Beginn der jüngsten Regime-Offensive ihre Stadt verlassen, sind vielfach an Orten ohne Internet, so ist es oft zu Beginn einer Flucht. Angehörige in Europa oder der Türkei erleben nur, wie der Skype- oder Whatsapp-Kontakt plötzlich abreißt. Umso eindringlicher ist nach drei Jahren des zähen Stellungskriegs der Eindruck, mit einem Mal sei ganz Aleppo auf den Beinen.

Was jetzt noch nach außen dringt, schürt bei Angehörigen die Angst: Seit zwei Tagen schlafen die Menschen mit ihren Kindern unter freiem Himmel, berichtet der syrische Aktivist Firas al-Halabi. "Sie haben ihre Häuser nur mit ihren Kleidern am Leib verlassen", nun harrten sie zu Tausenden in ländlichen Gebieten westlich der Stadt aus, sagt er. Das UN-Büro für humanitäre Hilfe, Ocha, schlägt Alarm: Die Kälte werde für viele zu einem ernsten Problem. Und Oppositionsmedien berichten, Hubschrauber des Regimes hätten über Vierteln im Süden Aleppos Flugblätter abgeworfen, in denen vor weiteren Luftangriffen gewarnt werde. Darin würden die Menschen aufgerufen, die Stadt zu verlassen, meldete die Nachrichtenseite Orient News.

Geteilte Stadt

Seit Freitag rücken die Truppen des Assad-Regimes vor, am Boden werden sie unterstützt von iranischen Spezialkräften und Eliteeinheiten der libanesischen Hisbollah-Miliz, aus der Luft helfen russische Kampfjets; ohne die ausländische Unterstützung sind Geländegewinne, wie sie die syrische Armee seit Freitag laufend vermeldet, schon lange nicht mehr möglich. Das Elend derer, die vor dieser Gewalt flüchten, ist zwar grundsätzlich bekannt. Eine strukturierte Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin gibt es nur noch in den kleinen, vom Regime gehaltenen Landesteilen, in denen die UN den syrischen Roten Halbmond unterstützen. Neu aber ist, wie massiv und plötzlich die neue Fluchtbewegung ist - weil der Angriff so stark und unerwartet kommt.

Bisher war Aleppo geteilt. Im Osten der Stadt herrschten Rebellen, die mehr oder weniger dschihadistisch sind. Den Westen hielt das Regime. Hin und wieder machte eine Seite etwas Boden gut. Jetzt will Assads Regime mithilfe russischer und iranischer Feuerkraft die Verhältnisse klären.

Der Sieg, auf den es in Aleppo spekuliert, wäre sicher ein Pyrrhussieg, etwas anderes ist in diesem Land schon lange nicht mehr zu erringen gewesen. Einst zog Aleppo Touristen aus aller Welt an, einst wurde hier das Geld verdient, das die Bürokraten in Damaskus abschöpften; aber der historische Markt der Stadt liegt seit September 2012 in Asche, die Wirtschaft ist völlig am Boden, und in dem eingekesselten Rebellennest im Osten, auf das sich jetzt viel Aufmerksamkeit richtet, sind angeblich ganze Straßenzüge verwaist. Es harren nur noch wenige, meist ältere Bewohner aus, die andernorts einen noch schnelleren Tod befürchten. Wer hier als Eroberer einzöge, der herrschte nur noch über Schutt und Trauernde.

Symbol der neuen Stärke

Trotzdem, eine Entscheidung im Kampf um Aleppo wäre höchst symbolisch. Es wäre für das Regime eine Machtdemonstration, der ersehnte Beweis, dass die neue Unterstützung von außen ausreicht, um militärisch das Blatt zu wenden. Was mit Aleppo passiert, stimmt psychologisch darauf ein, was mit dem Rest des Landes geschieht - das ist eine der ersten Regeln im syrischen Bürgerkrieg gewesen. Deshalb wollte auch der UN-Friedensvermittler Staffan de Mistura seinen Plan für örtliche Waffenstillstände zuerst dort ausprobieren. Deshalb nahmen sich Rebellentruppen im Juli 2012 die Stadt vor, in der es zuvor ruhig gewesen war, auch in der Hoffnung, eine Metropole zu erobern, der ein fast gleich großes Gewicht zukommt wie Damaskus. Freudig begrüßt wurden sie nicht.

Heute spielt die Stadt noch immer keine große Rolle im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), den sich die Interventionskräfte Russland und Iran vor allem auf die Fahnen geschrieben haben. Der IS steht überhaupt nicht in Aleppo, stattdessen ringen dort viele kleinere Gruppen um die Vorherrschaft im Kampf gegen das Assad-Regime. Aber Aleppo zu verlieren, das würde die Zukunftsaussichten für die Regierung stark verdüstern, es würde sie ihren letzten bedeutenden Außenposten im Norden kosten, wohin der passierbare Weg ohnehin bereits bedenklich schmal geworden ist.

Soldaten, Dschihadisten, Grenzwächter - in allen Richtungen lauern Gefahren

Den Aleppinern bleiben nur wenige Möglichkeiten zu fliehen. Die türkische Grenze ist zwar zum Greifen nah, es sind kaum fünfzig Kilometer, aber es warten dort Grenzwächter, die ihre Aufgabe neuerdings sehr ernst nehmen, und die Zahl der Flüchtlinge aus Aleppo ist wohl auch schlicht zu groß, um an ihnen vorbei durchzuschlüpfen. Flieht man gen Westen, in Richtung Mittelmeer, warten Dschihadisten. Und bricht man nach Osten auf, so steht dort die Armee des syrischen Regimes, was zwar grundsätzlich eine Möglichkeit zur Zuflucht böte, hat doch Aleppo lange den Ruf einer regimetreuen Stadt gehabt. Inzwischen aber ziehen sich die Kämpfe um die Stadt so lange hin, dass das Regime allen Bewohnern misstraut.

Man kennt das aus der Vergangenheit, aus Städten wie Homs oder Daraa: Wer sie als Wohnort im Pass stehen hatte, der bekam an Checkpoints des Regimes irgendwann Probleme, bis hin zur Verhaftung. Aleppo reiht sich da inzwischen ein.

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