Süddeutsche Zeitung

Syrien:Appell an Putin

Die Lage in der umkämpften Provinz Idlib verschlechtert sich dramatisch. Jetzt haben Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Macron den russischen Präsidenten Putin in einem Telefonat zu einem Ende der Kämpfe aufgefordert.

Von Moritz Baumstieger

Deutschland und Frankreich haben den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem sofortigen Ende der Kämpfe in der syrischen Provinz Idlib aufgefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron hätten am Rande des EU-Sondergipfels in Brüssel mit Putin telefoniert, sagte ein Sprecher der Bundesregierung am Donnerstagabend. Beide hätten betont, wie besorgt sie über die "katastrophale humanitäre Lage" der Menschen in Idlib seien. Sie forderten neben dem Stopp der Kämpfe auch einen ungehinderten Zugang von Hilfsorganisationen zu den Bedürftigen. "Sie erklärten sich bereit, sich gemeinsam mit Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu treffen, um eine politische Lösung für die Krise zu erreichen", teilte der Regierungssprecher mit.

In der umkämpften Provinz Idlib gab es am Donnerstag heftige Auseinandersetzungen. Im Nordwesten Syriens starteten Aufständische eine Gegenoffensive. Unterstützt durch Granatfeuer und von Soldaten der türkischen Armee versuchten Rebelleneinheiten die Stadt Nayrab zu stürmen, die sie am 3. Februar an die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad verloren hatten. Nayrab liegt an der strategischen Autobahn M4, die Aleppo mit der Küstenregion verbindet. Die syrische und die russische Luftwaffe reagierten auf die Angriffe mit Bombardements.

Die Gefahr einer neuen Konfrontationen der Armee des Nato-Staats Türkei mit Russland und Syrien steigt also, zumal bei einem Luftangriff zwei türkische Soldaten getötet und fünf weitere verletzt wurden, wie das Verteidigungsministerium in Ankara am Donnerstag mitteilte. Das türkische Militär habe daraufhin Stellungen der syrischen Regierungstruppen beschossen. Russland kritisierte das Vorgehen der Türkei. Es sei besorgniserregend, dass Ankara militante Gruppen in Syrien unterstütze, erklärte Moskau am Abend.

Zuletzt hatten russische und türkische Unterhändler erfolglos über einen Waffenstillstand für Idlib gesprochen, am Mittwoch drohte der türkische Staatspräsident Recep Tayyib Erdoğan: Es seien "die letzten Tage" für das "Regime" in Damaskus, seine Aggression zu stoppen und sich an die Abmachungen des Abkommens von Sotschi zu halten. Dort hatte sich die Türkei 2018 mit Assads Verbündeten Russland und Iran auf die Errichtung sogenannter "Deeskalationszonen" geeinigt, eine davon umfasste Idlib. Seit Assads Truppen in Idlib gegen die von der Türkei unterstützten Rebellen vorrücken, fordert Erdoğan einen vollständigen Rückzug hinter die damals festgelegte Frontlinie und droht sonst mit einem großen Gegenangriff.

Während Erdoğan eine Operation in Idlib "eine Frage des Augenblicks" nannte, bemühte sich der türkische Außenminister am Donnerstag, diplomatische Kanäle nach Moskau offenzuhalten. Ein Vertreter der türkischen Regierung brachte gemeinsame Patrouillen mit russischen Soldaten in Idlib ins Gespräch. Zuletzt waren auch US-Soldaten mit russischen Patrouillen aneinandergeraten: Videos zeigten, wie sich Panzerfahrzeuge der beiden Länder in den kurdisch kontrollierten Gebieten im Nordosten Syriens gegenseitig von der Straße zu drängen und zu rammen versuchten.

Die Lage der Flüchtlinge verschlechtert sich unterdessen weiter. Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, stufte deren Zahl am Donnerstag mit "nahezu einer Million" an, etwa 80 Prozent der zuletzt heimatlos gewordenen Personen in Idlib seien Frauen und Kinder. Der Raum, in dem Helfer agieren könnten, werde beständig kleiner.

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SZ vom 21.02.2020
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