Synode der Evangelischen Kirche:Mission Zukunft

Die evangelische Kirche erreicht immer weniger Deutsche, obwohl sich viele Menschen nach Sinn und Transzendenz sehnen. Anstatt zu versuchen, besser anzukommen, will die Kirche zurückfinden zu mehr Tiefe und einer beispielhaften Lebenskultur. So könnte ein neues Zeitalter beginnen.

Matthias Drobinski, Magdeburg

In Magdeburg redet in dieser Woche die Synode, das Parlament der evangelischen Kirche in Deutschland, über die Frage, wie sie in dieser Welt für Gott und Jesus begeistern will. Im Plattenbauviertel Neustädter See der Hauptstadt Sachsen-Anhalts steht seit 1984 die Hoffnungskirche. Hartnäckig war damals ein junges Pfarrerpaar von Tür zu Tür gezogen, hatte 2400 Christen versammelt und dem SED-Staat eine Kirche abgerungen. Die DDR verging, der Westen kam, das Paar wiederholte den Missionsversuch - und wurde häufiger als früher beschimpft. Die Gemeinde ist inzwischen auf 1300 Christen geschrumpft.

Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland

Selten ist ein Gottesdienst so gut besucht wie der Eröffnungsgottesdienst der Tagung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Dom St. Mauritius und Katharina in Magdeburg.

(Foto: dapd)

Die Säkularisierung scheint in Deutschland ein Naturgesetz zu sein: Im Osten sind die Christen auf dem Weg zur Zehn-Prozent-Minderheit und in den großen Städten der Republik werden die Konfessionslosen zur größten Konfession. Selbst da, wo die Kirchen noch stark sind, wissen die Leute nicht mehr recht, ob sie an die Sieben oder Zehn Gebote glauben sollen, an die Auferstehung der Toten oder die Wiedergeburt. Sollte es die Wiederkehr des Religiösen gegeben haben, ist sie am institutionell verfassten Christentum vorbeigegangen oder bestenfalls begrenzt geblieben auf die kirchennahen Milieus: die Konservativen und die etablierten Bildungsbürger, die postmateriellen Abgesicherten.

Für die Kirchen ist das bitter, denn die Fragen des Lebens sind drängender geworden. Die Menschen suchen nach Sinn und Deutung, sie dürsten danach, die Leere zu füllen, wenn es um sie herum und in ihnen still wird. Bibelstellen sind ihnen fremd geworden - nicht aber die Frage, warum sie auf der Welt sind und wie das sein wird, wenn sie einmal sterben. Moralpredigten lehnen sie ab, es treibt sie aber die Frage nach Schuld und Sühne um. Sie suchen nach Kriterien in den Debatten um Anfang und Ende des Lebens, um Krieg und Frieden. Sie brauchen in den Zeiten der Finanzkrise jemanden, der dem globalen Markt eine globale Moral zur Seite stellt, der zu denen hält, die unter die Räder kommen.

Auf den ersten Blick scheint die evangelische Kirche als Heimat der postmodern suchenden Individuen gut geeignet zu sein. Sie hat ihren Grund in Bibel und Bekenntnis, aber nicht den lehramtlichen Dogmatismus und moralischen Rigorismus der katholischen Kirche. Ihr Führungspersonal ist im Schnitt zehn Jahre jünger als das der katholischen Kirche. Intelligente Frauen bringen ihre eigenen Perspektiven ein, Mütter und Väter ihre Familien-Erfahrungen, die Lebensläufe evangelischer Bischöfinnen und Bischöfe sind inzwischen grundverschieden zu denen ihrer katholischen Brüder im Amt. Und trotzdem schrumpft diese Kirche, trotzdem wird sie weithin nicht als einladend, attraktiv und Heimat der Sucher wahrgenommen, so sehr sie sich auch bemüht, Predigten, Tauffeiern, Beerdigungen zu verbessern.

Falsch verstandener Missionsauftrag

Viele Protestanten, die tapfer an der Verbesserung des kirchlichen Auftritts arbeiten, empfinden das als ungerecht. Dabei steckt genau in ihrer Betriebsamkeit die Antwort darauf, warum das nicht einladend wirkt: Sie ist immer noch zu oft Teil der großen innerkirchlichen Selbstbeschäftigungsmaschine. Die bessere Predigt, die Zahl der Taufen, das diakonische Engagement, die Beschlusslage zur Finanzkrise und zu Afghanistan - das alles dient der Stabilisierung der eigenen Institution: Wie kommen wir besser rüber, erhöhen die Reichweite, die Zahl der Kontakte?

Will die evangelische Kirche in neuer Weise missionarisch sein (was Jesus seinen Anhängern aufgetragen hat), muss sie sich von dem Missverständnis verabschieden, dass sie auf diese Weise neu wirksam wird in dieser säkularen Welt, in der sich doch so viele Menschen nach Sinn und Transzendenz sehnen. Sie muss, statt noch betriebsamer zu werden, eine eigene Tiefe finden, eine eigene Frömmigkeit, einen eigenen Lebensstil - zwischen dogmatischer Starre und der Auflösung des Gottesgeheimnisses in einer Wellness-Religiosität, in der Gott nicht mehr ist als der beste aller Therapeuten. Sie muss sich, statt sich sicher im eigenen Milieu zu bewegen, der Erfahrung von Fremdheit aussetzen, die das Kennzeichen alles Missionarischen ist. Sie muss lernen zuzuhören, ohne abzuwerten, ohne aber die eigenen Grundsätze zu verraten. Fremdenfreundlich kann nur sein, dessen Ich zugleich stark ist.

Viel davon findet sich in dem Entwurf zu jenem Beschluss, mit dem die Synodalen am Mittwoch erklären wollen, wie sie es künftig halten wollen mit der Mission: Nach außen wirken kann nur eine Kirche, die aus eigener Tiefe, Stärke und Glaubwürdigkeit heraus handelt, heißt der Tenor dort. Sie muss sich nicht einfach der Welt anpassen, sondern heilsame Unterbrechungen und Gegenpunkte setzen, wenn sie eine beispielhafte Lebenskultur lebt (im Übrigen mit einer Diakonie, die faire und gute Löhne zahlt). Es ist ein bemerkenswerter Text. Es ist der Text für den Eintritt der Kirche ins neue Zeitalter.

Es ist ein Zeitalter des Abschieds von der selbstverständlichen Macht der Institution. In dem gilt, was einst der Apostel Paulus den ersten Christen mitgab: "Die Hoffnung lässt uns nicht zuschanden werden." So wie einst, in der DDR, in der Hoffnungskirche.

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