Supreme Court:Jetzt könnte Trump die USA für Jahrzehnte prägen

FILE PHOTO: U.S. Supreme Court Associate Justice Kennedy arrives for the funeral of fellow justice Scalia at the Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception in Washington

Supreme-Court-Richter Anthony Kennedy hört auf.

(Foto: REUTERS)
  • Anthony Kennedys Rückzug vom Supreme Court ist das vielleicht wichtigste innenpolitische Ereignis der Trump-Ära.
  • Die Kandidaten für seine Nachfolge sind verlässlich konservativ und fast alle unter 55.
  • Damit könnte sich die Macht strukturell für Jahrzehnte in Richtung der Republikaner verschieben.

Von Johannes Kuhn, Austin

Die wohl folgenreichste innenpolitische Entscheidung der Trump-Ära hat der US-Präsident womöglich gar nicht selbst getroffen. Der Oberste Richter Anthony Kennedy war es. Dessen Rückzug könnte die USA für Jahrzehnte in eine konservative Richtung führen. Unabhängig davon, wer in Kongress und Weißem Haus den Ton angibt.

Der Verlust des fast 82-jährigen Kennedy als "Swing Vote", also unberechenbare Stimme am neunköpfigen Supreme Court, ist dabei einerseits aufgebauscht: Oft genug war er die entscheidende fünfte Stimme der Konservativen, mit denen sie die vier Progressiven überstimmten und so das Land maßgeblich prägten. Beim Auszählungsstopp der Präsidentschaftswahl 2000 zugunsten George W. Bushs, der Rücknahme vieler Wählerschutz-Regeln für Afroamerikaner oder der folgenreichen Freigabe der Wahlkampffinanzierung für Unternehmen zum Beispiel, die dem Land ungeahnte Korruption beschert hat.

Andererseits sorgte seine Interpretation der persönlichen Bürgerrechte, wie sie im 14. Zusatzartikel der Verfassung festgelegt ist, für zwei entscheidende Entwicklungen: Die fortschreitende Gleichstellung Homosexueller, die schließlich in die "Ehe für alle" mündete, sowie die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung in den USA. In diesen Fällen stimmte Kennedy, der einst von Ronald Reagan nominiert worden war, gegen die gängige konservative Orthodoxie - was ihn unter dem Strich ideologisch zum Zentristen eines immer stärker ideologisch gespaltenen Supreme Courts machte.

Wer auch immer seine Nachfolge antritt, wird dagegen die reine konservative Lehre vertreten. Dies hat US-Präsident Donald Trump seiner Basis versprochen und deshalb bereits im vergangenen Herbst eine Liste möglicher Kandidaten vorgelegt. Dabei hatte er sich eng mit der Federalist Society abgestimmt, jenem einflussreichen Netzwerk von Juristen, die als ultra-konservative Aktivisten fungieren und Trump gerade dabei beraten, junge und linientreu konservative Bundesrichter in allen Instanzen zu nominieren.

Der Siegeszug der Originalisten

Die aufgelisteten Kandidaten und Kandidatinnen gelten als mehr oder weniger strenge "Originalisten". Diese Denkschule wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter Konservativen populär und legt die Verfassung als totes Dokument aus. Wer Artikel so interpretiert, wie sie bei ihrer Ratifizierung 1789 gemeint waren, findet dort wenig über Minderheitenrechte oder andere moderne Fragestellungen.

Fast alle Kandidaten auf Trumps Liste sind zwischen 45 und 55 Jahre alt. Da die Richter auf Lebenszeit benannt werden, könnten sie also für Jahrzehnte auf der Richterbank Platz nehmen. Der konservative Clarence Thomas wurde mit 43 am Obersten Gericht vereidigt; vor kurzem ist er 70 Jahre alt geworden. Thomas ist ebenso wie der von Trump nominierte Neil Gorsuch ein Originalist.

Der Oberste Gericht hat großen Einfluss auf Fragen, die in der politischen Debatte der USA ein Rolle spielen. Interessant könnte es zum Beispiel werden, wenn der neue Supreme Court einen kritischen Blick auf die Einschränkung des Waffenrechts wirft, die einige demokratische Bundesstaaten durchgesetzt haben.

Über allem thront die Frage nach der Zukunft des Abtreibungsrechts, die bei der Nominierung der Obersten Richter seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle spielt. Dass das Gericht nach der Neubesetzung eine De-facto-Korrektur des Abtreibungsfreigabe-Urteils "Roe vs. Wade" aus dem Jahr 1973 durchsetzt, erscheint zwar unwahrscheinlich. Aber es könnte Einschränkungen zulassen, die Republikaner in von ihnen regierten Bundesstaaten durchsetzen.

Den Demokraten droht Schaden für Jahrzehnte

Für die Demokraten sind dies schlechtestmögliche Nachrichten. Noch 2016 standen sie nach dem Tod des erzkonservativen Antonin Scalia kurz davor, erstmals seit 1969 die 5-zu-4-Mehrheit im Obersten Gerichtshof zu übernehmen. Doch der republikanische Senatsführer Mitch McConnell weigerte sich damals in einem skandalösen Vorgang, die Nominierung des von Barack Obama vorgeschlagenen moderaten Kandidaten Merrick Garland überhaupt zu behandeln.

Donald Trump gewann die Wahl, nominierte Gorsuch und kann nun die Demokraten für Jahrzehnte zur Minderheit verdammen. Mit Ruth Bader Ginsburg (85) und Stephen Breyer (79) kommen zudem nun die beiden ältesten Richter aus dem progressiven Lager; die vier von republikanischen Präsidenten nominierten Vertreter sind allesamt unter 70.

Politisierung und institutionelles Gewicht des Supreme Courts haben in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb zugenommen, weil die Arbeit an Gesetzen und lagerübergreifenden Kompromissen im US-Kongress praktisch eingestellt wurde. Der Kongress ist tief gespalten, da die Republikaner eine beispiellose Ideologisierung hinter sich haben.

Eine Reform etwa der Wahlkampffinanzierung - zum Nachteil finanzkräftiger Interessengruppen - wäre deshalb durch einen progressiv ausgerichteten Supreme Court eher möglich als durch einen demokratisch dominierten Kongress. Nun jedoch könnten liberale Projekte wie Ausweitung der Gesundheitsversorgung oder des staatlichen Minderheitenschutzes auf einen skeptischen Supreme Court treffen, selbst wenn Präsident, Senat und Repräsentantenhaus in der Hand der Demokraten liegen.

Roosevelts Plan als letzte Hoffnung

Einige Demokraten hoffen darauf, mindestens zwei republikanische Senatoren überreden zu können, dass sie Trumps Kandidaten bei der Abstimmung im Herbst ablehnen und damit dem republikanischen Senatsführer McConnell die für die Nominierung nötige Mehrheit zu entziehen. Vor allem die republikanischen Senatorinnen Susan Collins (Maine) und Lisa Murkowski (Alaska), die für liberale Abtreibungsregeln sind, stehen unter Druck. Die Aussichten, die Mehrheit noch zu kippen, sind allerdings gering.

Andere Progressive setzen deshalb darauf, nach der Wahl 2020 die Mehrheit in beiden Kammern sowie den US-Präsidenten zu stellen. Dann könnten die Demokraten einen alten Plan Franklin D. Roosevelts aus dem Jahr 1937 neu beleben: Roosevelt schlug damals vor, den Supreme Court von neun auf bis zu 15 Sitze zu erweitern. Roosevent scheiterte und auch gegenwärtig ist eine Aufstockung nicht das realistischste Szenario - aber vielleicht die beste Hoffnung, die den Demokraten bleibt.

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