Supreme Court:Bushs Gericht

Der frühere US-Präsident George W. Bush hat den konservativen Flügel des obersten US-Gerichts, des Supreme Court gestärkt - die politischen Folgen werden heute sichtbar.

Reymer Klüver

Elena Kagan hat sich keine Blöße gegeben. Nichts Eindeutiges hat sie herausgelassen über ihre politischen oder weltanschaulichen Vorstellungen. Das hat Tradition in den USA. Seit Jahrzehnten schon lässt kaum einer der Frauen und Männer, die Richter an Amerikas oberstem Gericht, dem Supreme Court, werden wollen, erkennen, was er oder sie wirklich denkt. Zumindest nicht bei ihren Anhörungen vor dem Justizausschuss des Senats. Alle versprechen sie da mit treuem Augenaufschlag, die im amerikanischen Recht so wichtigen precedents zu ehren, die Präzedenz-Entscheidungen vorangegangener Richtergenerationen, und überhaupt restraint zu üben, Zurückhaltung auf der Richterbank. Das hat auch die 50 Jahre alte (und damit gemessen am Altersschnitt des Supreme Court noch relativ junge) Kagan so getan. An ihrer Bestätigung durch den Senat in den kommenden Wochen besteht kein Zweifel.

Ein Satz indes in Kagans ansonsten langweiliger Anhörung ließ die Washingtoner Gerichtsauguren doch ein wenig aufhorchen. "Der Supreme Court ist eine bewundernswerte Institution", flötete sie, und sie werde "bescheiden" an ihr neues Richteramt herantreten. Dann aber fügte sie hinzu, ohne ihren freundlichen Tonfall zu ändern: "Der Gerichtshof muss allerdings auch seine Grenzen erkennen und die Entscheidungen respektieren, die das amerikanische Volk getroffen hat."

Das ist, adrett verpackt, der Fehdehandschuh an die konservativen Herren, die zur Zeit die Mehrheit haben in Amerikas neben dem Kongress einflussreichstem Gremium und die nach Auffassung ihrer Kritiker es genau an der richterlichen Zurückhaltung missen lassen, die Kagan in ihrer Anhörung anmahnte. Denn seit der Ernennung von John Roberts zum Chief Justice, zum Obersten Richter, durch Präsident George W. Bush im Sommer 2005 ist der Oberste Gerichtshof der USA erkennbar nach rechts gerückt. Die Urteile fallen eindeutig konservativer aus und versuchen, Jahrzehnte demokratisch geprägter Politik rückgängig zu machen.

Wie es der Zufall des Kalenders wollte, lieferte der Supreme Court ausgerechnet am ersten Tag der Anhörung Kagans eines der auffälligsten Exempel dafür: Das Gericht stellte zum ersten Mal fest, dass alle Amerikaner grundsätzlich das Recht haben, Waffen zu besitzen. Amerikas Waffenlobby ließ das jubilieren - den Bürgermeistern unter Gewaltverbrechen leidender Großstädte dürfte es Albträume bereiten. Viele von ihnen haben das Tragen von Waffen ohne Waffenschein verboten und stehen nun vor einer Prozesswelle von Waffennarren, die ihr vom Supreme Court bestätigtes Recht durchsetzen wollen.

Dieses Urteil wird von liberalen Kritikern des Gerichts nicht zu Unrecht als Beispiel für judicial activism gerügt, für richterlichen Aktivismus. Gemeint sind damit Entscheidungen, mit denen die konservativen Richter die langjährige rechtliche Praxis im Land umkrempeln - also unter umgekehrtem politischen Vorzeichen genau das machen, was die Republikaner liberalen Richtern in den USA seit Jahren vorwerfen. Und das Waffenurteil ist nicht das einzige Beispiel für die konservative Wende des Gerichts.

Erst Anfang des Jahres hatte das Gericht eine zentrale Bestimmung des amerikanischen Wahlrechts über den Haufen geworfen und Wahlwerbung von Unternehmen (und Gewerkschaften) in unbegrenztem Umfang wieder zugelassen - mit der Begründung, dass Unternehmen wie natürliche Personen ein Recht auf freie Meinungsäußerung hätten. Was wohlhabenden Unternehmen Tür und Tor öffnet, mit massiven Werbekampagnen in die Wahlkämpfe einzugreifen. Die Entscheidung erzürnte Präsident Barack Obama derart, dass er den ungewöhnlichen Schritt unternahm und sie explizit geißelte.

In einem dritten richtungsweisenden Spruch schränkte der Supreme Court die Rechte von Verdächtigen im Polizeigewahrsam deutlich ein und schraubte damit seine frühere Entscheidung aus dem Jahre 1966 wieder zurück, die vorschrieb, dass die Polizei allen Verdächtigen ihre Rechte verlesen muss, ehe sie sie verhört. Das kennt man seither aus Filmen. Fortan aber müssen Verdächtige ausdrücklich sagen, dass sie schweigen, um zu vermeiden, dass eine zufällig doch gemachte Äußerung nicht zu ihren Lasten verwendet wird.

Das Muster in diesen umstrittenen Urteilen ist gleich. Auf der einen Seite stehen die stramm konservativen Richter: neben Chief Justice Roberts der ebenfalls von Bush ernannte Samuel Alito sowie der von Ronald Reagan berufene Antonin Scalia und der von Präsident George Bush senior nominierte Clarence Thomas. Auf der anderen Seite stehen die liberalen Richter Sonia Sotomayor, Ruth Bader Ginsburg, Stephen Breyer und John Paul Stevens. In der Mitte befindet sich der von Reagan ernannte Anthony Kennedy, der sich in weltanschaulichen und wirtschaftspolitischen Fragen aber eher auf die Seite der Konservativen schlägt.

An diesen Mehrheitsverhältnissen wird die Ernennung Kagans nichts ändern: Sie soll die Nachfolge des greisen, aber geistig hellwachen John Paul Stevens antreten, der im Frühjahr im Alter von 90 Jahren beschlossen hatte, dass es nun genug sei. Eine Liberale ersetzt also einen Liberalen. Doch dürfte es kein Zufall sein, dass Obama eine 50-Jährige zu Stevens Nachfolgerin erkoren hat. Die Richterposten am Supreme Court werden auf Lebenszeit vergeben. "Es ist ein Wartespiel", konstatiert trocken der Historiker Melvin Urofsky, ein Experte für die Geschichte des Supreme Court. Und die liberale Kagan sei schließlich fast ein Vierteljahrhundert jünger als der intellektuelle Wortführer der Konservativen im Gericht, Antonin Scalia. Amerikas Präsidenten versuchten, mit ihren Ernennungen die Machtverhältnisse im Gerichtshof langfristig zu beeinflussen.

Das war Franklin D. Roosevelt im vergangenen Jahrhundert mit acht Ernennungen am nachhaltigsten gelungen. Ronald Reagan und die beiden Bushs haben strategisch der konservativen Neuausrichtung des Supreme Court den Boden bereitet. Nun wiederum holt Obama zum Gegenschlag aus. Allgemein wird erwartet, dass die an Krebs erkrankte Ruth Bader Ginsburg demnächst ihren Posten aufgibt. Dann dürfte er in nur einer Amtszeit drei jüngere, liberale Richter eingesetzt haben.

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