Supreme Court billigt Gesundheitsreform:Obama feiert einen Pyrrhus-Sieg

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Sein wichtigstes innenpolitisches Vorhaben hat Barack Obama nun umgesetzt, sonst konnte er die vor vier Jahren in ihn gesetzten Hoffnungen kaum erfüllen. Wäre er nicht der erste schwarze Präsident der USA, seine erste Amtszeit wäre wohl eher historisch unbedeutend. So kann er nur hoffen, dass ihm die Wähler im November eine zweite Chance geben.

Reymer Klüver, Washington

Amerikas Oberstes Gericht hat zur Gesundheitsreform gesprochen und ein Urteil gefällt. Es ist letztlich auch ein Verdikt über Barack Obamas Amtszeit. Zwar hat der Präsident seine große Reform, das wichtigste innenpolitische Vorhaben, nun immerhin durchsetzen können. Das ist ein Glücksfall für ihn. Doch Obama hat einen hohen Preis dafür entrichten müssen. Und das hat Symbolkraft für seine einst mit ungeheuren Erwartungen gestartete Präsidentschaft.

Muss um seine Wiederwahl im November bangen: US-Präsident Barack Obama. (Foto: AFP)

"Hope" war das Schlagwort. So viele Hoffnungen hat Obama geweckt - und enttäuscht. So viele Versprechen von "change", von Wandel in Amerika und der Welt, hat er nur halb erfüllt, oft nur halb erfüllen können, weil es ihm sowohl an eigenem Geschick als auch an politischer Unterstützung fehlte.

Auch wenn der Supreme Court Obamas große Reform, für die er so viel politisches Kapital investieren musste, nun abgesegnet hat - vor dem Gerichtshof der öffentlichen Meinung in den USA wird sie auch weiterhin nicht bestehen. Die Amerikaner mögen sie einfach nicht. In Umfragen fand die Gesundheitsreform seit ihrer Verabschiedung vor zwei Jahren nicht ein einziges Mal die Unterstützung einer Mehrheit der US-Bürger.

Dabei kann aus sachlichen Gründen eigentlich niemand diese Gesundheitsreform ablehnen. Es mag berechtigte Kritik an einzelnen Punkten des Gesetzesmonstrums geben. Die Tendenz und die Intention der Reform aber stimmen: Es ist ein Skandal, dass sich die größte Industrienation der Welt es leistet, fast 50 Millionen Menschen - knapp ein Sechstel der Bevölkerung - ohne eine Krankenversicherung zu lassen. Allein ökonomisch ist es wenig sinnvoll: Die Kosten für die Behandlung akut kranker Unversicherter werden am Ende umgelegt - auf die Steuerzahler, die mit öffentlichen Zuschüssen für die Krankenhäuser, und die Versicherten, die mit höheren Prämienbeiträgen dafür aufkommen müssen.

Vor allem aber ist dieses Versicherungsvakuum menschlich unerträglich, weil die Unversicherten eben erst im absoluten Notfall auf Hilfe hoffen dürfen. So werden leichte Erkrankungen zu chronischen Leiden. Chronische Leiden werden zu tödlichen Gebrechen. Das alte Gesundheitssystem ist ein Armutszeugnis für Amerika.

Nur die amerikanische Psyche erklärt, warum Obamas Versuch, diesen Missstand endlich zu beseitigen, von den Menschen nicht angenommen wird. Die USA wurden gegründet aus einem antistaatlichen Impuls heraus: Die Steuergesetze der fernen britischen Kolonialregierung wurden als Übergriff verstanden, als Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte. Die Angst vor dem staatlichen Leviathan sitzt seither tief im kollektiven Unterbewusstsein der Nation. Und dieser Reflex kann jederzeit ausgelöst werden.

Das haben die Republikaner geschickt verstanden und die Obamacare genannte Reform als Versuch der Demokraten gebrandmarkt, die Amerikaner ihrer Freiheitsrechte zu berauben. Freiheit kann dabei auch das Recht umfassen, keine Versicherung haben zu wollen. Das absurde Ergebnis: Selbst viele der geschätzt 30 Millionen, die wegen der Reform endlich einen Versicherungsschutz erhalten sollen, lehnen sie ab. Obama konnte sie einfach nicht überzeugen - so wie seine Präsidentschaft insgesamt eben nicht überzeugend verlaufen ist.

Gewiss, Obama hat keine kapitalen Fehler begangen. In kritischen Situationen handelte er vielmehr richtig. Er bewahrte mit massiver staatlicher Hilfe Amerikas Autoindustrie vor dem Kollaps und verhinderte so ohne Zweifel eine neue Große Depression. Er beendete entschlossen den sinnlosen Krieg in Irak und leitete den Abzug aus Afghanistan ein. In seiner Amtszeit wurden Osama bin Laden zur Strecke gebracht und al-Qaida niedergerungen.

Aber was ist von seinen großen außenpolitischen Projekten geblieben? Die (naiv versprochene) Vermittlung zwischen Israelis und Palästinensern ist gescheitert. Die Versuche zur Lösung der Konflikte mit Iran und Nordkorea sind steckengeblieben. Selbst der vielbeschworene Neubeginn im Verhältnis zu Russland kam über Symbolismus nicht hinaus.

Innenpolitisch hat Obama viel, zu viel der Gesundheitsreform geopfert. Das Klimaschutzgesetz musste er aufgeben, weil ihm nach dem epischen Ringen die Kraft fehlte. Die so dringend erforderliche Neuregelung der Einwanderung ist nicht einen Schritt vorangekommen. Die Finanzmarktreform hat er zwar geschafft. Aber auch sie ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wäre Obama nicht der erste schwarze Mann im Weißen Haus, wäre seine Amtszeit bisher wohl eher historisch unbedeutend. Jetzt immerhin kann er die Gesundheitsreform vorweisen - die aber vom Volk ungewollt bleibt.

Gibt es eine Alternative zu ihm? Mitt Romney würde die politischen und sozialen Gräben in den USA in tiefe Canyons verwandeln. Die Reichen würden noch reicher, der Mittelstand und die Armen, Verlierer seit den Bush-Jahren, würden weiter verlieren. Und außenpolitisch lassen Romneys holzschnittartige Äußerungen wenig Gutes ahnen. So muss man hoffen, dass das amerikanische Volk in gut vier Monaten gnädig über Obama urteilt, und ihm ähnlich wie der Supreme Court Bewährung erteilt.

© SZ vom 29.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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