"Super Tuesday" der US-Republikaner:Romney und Santorum buhlen um die Wankelmütigen

Alle Augen auf Ohio: Obwohl in zehn Bundesstaaten Vorwahlen stattfinden, konzentriert sich die mediale Aufmerksamkeit und das Geld der Favoriten auf den "Rosskastanien-Staat". Dies liegt am Wahlsystem und an der Geschichte: Seit hundert Jahren kann kein Republikaner Präsident werden, der nicht die Gunst der Bewohner Ohios für sich gewonnen hat.

Matthias Kolb, Columbus

Die Bedeutung des Super Tuesday lässt sich in Zahlen ausdrücken: 4, 6, 10, 437 und 2286. Vier Präsidentschaftsbewerber der Republikaner kämpfen am 6. März, dem "Super-Dienstag", in zehn Bundesstaaten um 437 der 2286 Delegiertenstimmen. Es geht also um ein knappes Fünftel der delegates, jener wichtigsten Währung der Vorwahlen: Wer 1144 Wahlmänner hinter sich gebracht hat, der wird Ende August in Tampa zum Herausforderer von Barack Obama gekürt.

Bisher führt Mitt Romney mit deutlichem Vorsprung vor Rick Santorum, Newt Gingrich und Ron Paul. Da nach dem Super Tuesday noch mehr als zwei Drittel der Delegiertenstimmen offen sind, fällt im Grunde nur eine Vorentscheidung - aber eine mit symbolischem Wert. Der New York Times zufolge wird Romney seinen Vorsprung ausbauen und knapp die Hälfte der Delegiertenstimmen erhalten, während Santorum und Gingrich um den zweiten Platz kämpfen.

Warum manche Staaten mehr zählen als andere

Dass sich die Aufmerksamkeit von Medien, Analysten und der interessierten Öffentlichkeit so sehr auf den Buckeye State Ohio konzentriert, liegt vor allem daran, dass alle Umfrage-Ergebnisse ein knappes Rennen zwischen Romney und Santorum in dem Industriestaat versprechen (aktuelle Berechnungen bei Real Clear Politics). In den anderen neun Staaten sind die Sieger leicht vorherzusagen.

Newt Gingrich steht in Georgia (76 Delegierte), wo 1979 seine Politikerkarriere begann, vor einem Sieg, während Santorum in Oklahoma (43) und Tennessee (58) vorne liegt. Romney wird neben seiner Wahlheimat Massachusetts (41) wohl in Vermont (17), Idaho (32) sowie in Alaska (27) und North Dakota (28) gewinnen - auch wenn der libertäre Abgeordnete Ron Paul bei den dort stattfindenden Wählertreffen gute Chancen haben dürfte. In Virginia (49) haben die Wähler die geringste Auswahl: Gingrich und Santorum haben es nicht vermocht, die benötigte Zahl an Unterschriften zu sammeln. Ihre Namen fehlen auf den Stimmzetteln.

Die Fokussierung auf Ohio hat noch einen weiteren Grund: Neben Florida gilt dieser Bundesstaat als der Inbegriff des swing state. Da es bei der Wahl im November für Demokraten und Republikaner darauf ankommt, die Mehrheit der 538 Wahlmänner zu sichern, wird knallhart abgewogen, wo sich der Einsatz lohnt.

Eine Million Dollar für Obama-Spots in den konservativen Hochburgen Texas oder Georgia? Verschwendung! Auftritte der Republikaner-Kandidaten im liberalen Kalifornien, New York oder Massachusetts? Vergebene Liebesmüh. Als weitere umkämpfte Staaten gelten neben Colorado, Iowa, Nevada, New Hampshire, Virginia auch Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und New Mexico. Wer in einem dieser Staaten wohnt, wird mit Wahl-Werbespots überschüttet werden und genug Gelegenheit bekommen, die Bewerber nicht nur auf dem Bildschirm zu sehen. Nicht ohne Hintergedanken treffen sich die Republikaner Ende August in Florida zum Nominierungsparteitag, während die Demokraten kurz darauf Obama in North Carolina zum Kandidaten küren - und so den dortigen Wählern schmeicheln wollen.

Momentum oder Mittelmaß? Warum ein Sieg in Ohio so viel bedeutet

Ein Spruch wird in US-Medien derzeit häufig zitiert: "As Ohio goes, so goes the nation" - wie Ohio abstimmt, so wird sich das ganze Land entscheiden. Joe Hallett von der Tageszeitung Columbus Dispatch belegt das mit Fakten: Zwischen 1904 und 2008 stimmten die Menschen in Ohio in 25 von 27 Fällen für den Kandidaten, der letztlich ins Weiße Haus einzog, und kein Republikaner konnte ohne die Unterstützung Ohios Präsident werden.

Nachdem George W. Bush zwei Mal in dem Rostgürtel-Staat gesiegt hatte, erlag Ohio 2008 dem Charisma von Barack Obama - um dann bei der Kongresswahl 2010 den Republikanern einen deutlichen Sieg zu bescheren und mit John Kasich einen marktgläubigen Fox-News-Moderator zum Gouverneur zu küren.

"Wer in Ohio siegt, kann behaupten, dass er in allen Wählergruppen ankommt", sagt Hallett, der seit Jahrzehnten das politische Geschehen in seiner Heimat verfolgt. Ein Sieg wäre für Mitt Romney, der wie Rick Santorum seit Tagen durch Ohio tourt, ähnlich wichtig wie der jüngste Erfolg in Michigan, um den Kritikern zu beweisen, dass er auch bei weniger wohlhabenden Konservativen ohne Uni-Abschluss ankommt.

Santorum kämpft verbissen gegen sinkende Umfrage-Ergebnisse, weil nur ein Sieg in Ohio ihm das momentum zurückbringen wird. Dass sein Name in mindestens drei der 16 Wahlbezirke nicht auf den Wahlzetteln steht, erschwert Santorums Kampf um die Mehrheit der delegates. Doch wenn er insgesamt die meisten Stimmen erhalten sollte, würden seine Berater dies als Beweis anführen, dass seine erzkonservativen Sprüche auch in einem bunt gemischten Staat ankommen können.

Denn Ohio, das ist Amerika im Miniformat. Die Gegend um Toledo im Nordwesten ist durch Industrie geprägt, während die Menschen rund um Cleveland im Nordosten liberal sind. In der dünn besiedelten Appalachen-Region sind Evangelikale und Tea-Party-Anhänger stark, während die Republikaner-Hochburg Cincinnati stolz darauf ist, mit John Boehner den Sprecher des Repräsentantenhauses zu stellen. Und Columbus, wo es neben dem Sitz der Regierung und des Parlaments auch Biotech-Firmen, viele Dienstleistungsgewerbe und Industriebetrieben gibt, ist wiederum Ohio im Brennglas.

Wie im Rest Amerikas werden Wahlen in der Mitte entschieden: Alle buhlen um die 20 Prozent der Unabhängigen, die sich weder den Demokraten noch den Republikanern verbunden fühlen.

Werte oder Wirtschaft - was Ohios Wähler bewegt

Wie für die meisten Amerikaner dürfte die Situation auf dem Arbeitsmarkt für die 11,5 Millionen Bewohner von Ohio das wichtigste Thema sein. Zwischen 2005 und 2011 seien 443.000 Jobs verlorengegangen, darunter 170.000 in Industriebetrieben, berichtet Joe Hallett. "Zwei Drittel der Menschen geben in Umfragen an, dass sie Angst vor der Zukunft haben", sagt der Journalist, "sie kennen das Gefühl der Unsicherheit nicht, da Ohio lange eine Wirtschaftslokomotive war." Nun wachse auch hier die Armut: Jeder Siebte erhalte Essensmarken und 42 Prozent der Schulkinder erhielten einen Zuschuss für das tägliche Mittagessen.

Paul Beck, Politikprofessor an der Ohio State University, verortet die politische Stimmung "leicht rechts von der Mitte." Die hiesigen Wähler seien sehr ergebnisorientiert, analysiert Beck: "Sie interessiert vor allem, welcher Kandidat ihre persönliche Lage verbessern kann und Dinge geregelt bekommt."

Das "Geschenk" der Republikaner

Einer dieser Pragmatiker ist Bronson Jones, der als Manager für die 1921 gegründete Banner Metals Group arbeitet. 87 Arbeiter stellen in Columbus Bremsscheiben für Boeings Passagierflugzeuge sowie Einzelteile für Honda und Caterpillar her. Den Vorwahlkampf der Republikaner verfolgt er aus einer gewissen Distanz. "All diese Versprechungen zu Steuersenkungen lassen sich doch sowieso nicht umsetzen", sagt Jones, der sich seit einigen Wochen über neue Aufträge freut und bald ein Dutzend neuer Leute einstellen wird.

Angst vor der Konkurrenz aus China hat er nicht: "Der Stahl dort hat keine gute Qualität, und die Lieferwege sind enorm lang." Die meisten Kunden befinden sich in einem Umkreis von weniger als 100 Meilen, so dass seine Fachleute schnell hinfahren könnten, wenn Probleme auftreten, erläutert Jones. Anders als manch andere Betriebe, die aus Fernost nach Ohio zurückgekehrt sind, verdienen die Banner-Arbeiter, von denen manche seit 40 Jahren an den dröhnenden Maschinen stehen, mit 16 Dollar Stundenlohn recht ordentlich und erhalten zudem 80 Prozent der Krankenversicherungsprämie.

Dass in einer solchen Ausgangslage Rick Santorum mit seinem antiquierten Frauenbild und seiner Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe gegen Mitt Romney bestehen kann, erklären sich Joe Hallett vom Columbus Dispatch und der Politologe Paul Beck mit Romneys steifer, unpersönlicher Art.

Der Wirtschaftsexperte schaffe es einfach nicht, eine Beziehung zu den normalen Leuten und den Arbeitern aufzubauen, sagt Hallett, der Romney zwei Mal interviewt hat. "Er reiht in seinen Reden einfach ein Klischee an das andere. Im persönlichen Gespräch ist er anders und im Gegensatz zu vielen Politikern hört er den Fragen wirklich zu und will nicht nur seine Statements absondern." Dennoch gehen beide Experten davon aus, dass Romney im November Präsident Obama herausfordern wird.

Obama oder Mr. X - Vorausschau auf den November

Noch vor einem halben Jahr hätte Hallett Barack Obama kaum Chancen auf einen weiteren Erfolg in Ohio zugestanden, doch seit einiger Zeit sei das Rennen wieder offen. Wegen der Wirtschaftslage seien viele noch immer wütend auf den Präsidenten, doch das Bewerberfeld der Republikaner sei "selten schwach", was dem Charismatiker Obama zugutekomme.

Dass es mit dem Arbeitsmarkt wieder aufwärts geht, bestätigt auch Suzanne Coleman-Tolbert. Sie leitet die "Central Ohio Workforce Investment Corporation" (Covic), die Arbeitgeber und Arbeitssuchende zusammenbringen soll und mit privaten und öffentlichen Geldern finanziert wird. Seit September sei eine Trendwende zu spüren, berichtet die resolute Frau und ergänzt, dass die Arbeitslosenquote im Januar auf 7,7 Prozent gefallen sei.

Mit der Hilfe von Covic sucht auch John Hanson nach einer neuen Stelle - der Irakkriegsveteran ist seit Oktober arbeitslos und bildet sich nun weiter. Er sei sehr gläubig und deswegen werde er für die Republikaner stimmen, sagt der 36-Jährige. Sein Optimismus ist unerschütterlich: "Amerika ist noch immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich muss nur etwas länger auf meine Chance warten."

Chris Redfern ist aus einem anderen Grund optimistisch: Der Chef der Demokraten in Ohio glaubt fest an einen Sieg im November. Es sei ein "Geschenk", dass alle Kandidaten der Republikaner die Staatsbeihilfen zur Rettung der Autoindustrie als Fehler bezeichnet haben.

In Ohio hängt jeder achte Job von der Autoindustrie ab und so wird Redfern in den kommenden Monaten argumentieren: "In Toledo werden Jeeps produziert, legendäre amerikanische Autos. In der Fabrik dort weiß jeder, vom Manager bis zum Fließband-Arbeiter, dass er seinen Job nur einem Mann verdankt - und der heißt Barack Obama." (Mehr zur Strategie der Demokraten in diesem Süddeutsche.de-Artikel.)

Doch nicht nur der Berufsoptimist Redfern sieht Obama im Aufwind. "Ich habe das Gefühl, dass es Obama noch mal schaffen wird", sagt Manager Bronson Jones von Banner Metals, der sogleich anfügt, dass er sonst eher mit den Republikanern sympathisiere und 2008 für John McCain votiert habe. Die Wirtschaft komme endlich wieder in Schwung und auf die Rettungsaktion für die Autoindustrie könne der Präsident stolz sein. Endlich zeige Obama seine eigene Handschrift, nachdem die Probleme aus der Bush-Ära mehr oder weniger bewältigt seien.

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