Wahlen in Großbritannien:Premier Sunak droht eine herbe Niederlage

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Der britische Premierminister Rishi Sunak auf Wahlkampftour im Hafen von Clovelly. (Foto: Leon Neal/dpa)

Sie ringen mit der Labour-Partei, aber vor allem mit den eigenen Skandalen. Sogar Schafe ergreifen die Flucht, wenn sich das konservative Spitzenpersonal nähert: Kurz vor der Wahl in Großbritannien sieht es nicht gut aus für die seit 14 Jahren regierenden Tories.

Von Michael Neudecker, London

Alister Jack wollte nur einen Witz machen, aber es muss ihm entgangen sein, dass dies nicht die Zeit für Witze ist. Der Wahlkampf im Vereinigten Königreich geht in seine letzten Tage, am Donnerstag kommender Woche wird gewählt, und der Wahlkampf war aus Sicht der Tories bislang nichts weniger als ein Desaster. Mit jedem Tag mehr sieht es mehr nach einer herben Niederlage für die Partei der Konservativen aus, die das Land seit 14 Jahren regiert. Alister Jack war in Rishi Sunaks Kabinett der Minister für Schottland, bis Sunak Ende Mai überraschend entschied, Wahlen auszurufen und das Parlament aufzulösen, Jack also ist das, was die Briten einen „Top-Tory“ nennen. Es gibt schließlich griffige Beinamen und Schlagworte für alles in diesem Land, also auch für die Angelegenheit, in der Alister Jack nun lustig sein wollte, genannt: „Gamblegate“.

Er habe 2100 Pfund mit einer Wette auf den Wahltermin gewonnen, hatte Jack mehreren Journalisten erzählt, nur um dann in der BBC klarzustellen, das sei nur ein Witz gewesen. Und anschließend wiederum zugeben müssen, dass sich der Witz nur auf die gewonnene Summe beziehe – er habe schon gewettet, ja, allerdings ohne Insiderwissen und lange bevor Sunak den Wahltermin bekannt gab, weshalb nicht gegen ihn ermittelt werde. Er, ein Regierungsminister wohlgemerkt, habe gleich mehrere Wetten platziert auf verschiedene Wahltermine, und eine habe halt gewonnen.

Die merkwürdigen Wetten einiger Tories beschäftigten die Briten seit Tagen

Auch die Labour-Partei hat inzwischen ihren ganz eigenen Wettfall. Der Kandidat für Central Suffolk musste am Dienstag zugeben, dass er in seinem Wahlkreis gewettet hat, und zwar darauf, dass der Tory-Kandidat gewinnt, also sein Gegner. Die Partei von Keir Starmer suspendierte den Mann umgehend, der übrigens der Chef einer Lobby-Firma ist, die vor ein paar Jahren eine Kampagne für verantwortungsvolles Wetten gestartet hat. Der Wettskandal, in dem mehrere Tories aus Sunaks Umfeld auf den Wahltermin gewettet haben sollen, beschäftigt die Briten seit einer Woche. Wobei dieser Skandal nur der letzte von vielen Skandalen der vergangenen Jahre ist – wenn auch der vielleicht absurdeste.

Und auch so wäre der Wahlkampf ja schon schlimm genug gewesen. Nahezu alles, was sich Sunaks unglücklich agierendes Team ausgedacht hatte, lief schief, selbst banale Termine, etwa vor Kurzem in Devon, als Sunak mit Außenminister David Cameron eine Farm besuchte. Die beiden sollten dort die Schafe füttern. Aber als die Männer in ihren dunklen Anzügen sich den Schafen näherten, taten die Schafe, was sie von Natur aus eben tun: Sie rannten weg.

Dabei wäre dieser Wahlkampf für die Tories in einer Hinsicht vielleicht noch wichtiger als andere Wahlkämpfe der jüngeren Vergangenheit: Sie kämpfen ja nicht nur gegen eine drastische Niederlage gegen Labour auf der einen Seite, sondern auch gegen eine Abwanderung ihrer Wähler zu Nigel Farage und Reform UK auf der anderen.

Der konservative Upperclass-Aristokrat leidet unter dem Zustand seiner Partei

Ein Abendessen im kleinen Kreis neulich mit Charles Walker: Er ist seit 19 Jahren Abgeordneter der Konservativen, tritt aber zur Wahl nicht mehr an, wie 75 weitere Tory-Kollegen. Charles Walker ist kein sogenannter One-Nation-Tory, also keiner der gemäßigten Mitte-Tories, die sich zu ebenjener Gruppe zusammengeschlossen haben. „Ich bin ein altmodischer Toff“, sagt er, Sir Charles Walker, „Toffs“ heißen die konservativen Upperclass-Aristokraten. Walker, 56, ist ein klassischer Mitte-rechts-Konservativer, einer, der sich keiner Gruppe unterordnen mag. Wenn man ihn fragt, ob die Tories in der Opposition weiter nach rechts rücken sollten, sagt er: „Oh Gott, nein, natürlich nicht.“

Es geht dann um einen Vorfall mit der Abgeordneten Andrea Jenkyns, der das Problem für die Tories ganz gut illustriert. Während sie mit Skandalen der Partei und gegen Labour ringen, betreiben die 635 Kandidaten der Tories in ihren Wahlkreisen entweder einen von der Partei losgelösten Wahlkampf, also einen, in dem der Name der Partei auf den Flyern nicht erscheint. Oder aber sie versuchen sich mit dem Mann zu assoziieren, den die Tory-Wähler am hart rechten Rand zu mögen scheinen, Nigel Farage. Andrea Jenkyns, seit 2010 Abgeordnete für Morley und Outwood, ging sogar so weit, dass sie Flyer druckte, auf denen ein Foto von ihr mit Farage zu sehen ist.

Charles Walker kann richtig wütend werden, wenn man ihn darauf anspricht. Er ruft Worte, die, wie er in seinem wohlakzentuierten Tory-Toff-Britisch anfügt, nicht unbedingt für die Zeitung geeignet seien, „schreiben Sie lieber“, sagt er dann, „das war unverschämt und unaufrichtig gegenüber Rishi Sunak“.

Sunak äußerte sich dazu nicht, und auch im Wettskandal reagierte er spät, erst am Dienstag distanzierte sich die Partei von den unter Verdacht stehenden Kandidaten. In den zahlreichen Umfragen zur Wahl schlägt sich all das entsprechend nieder, kein Wunder, sagt auch Charles Walker. Am Mittwoch veröffentlichte das Institut Ipsos eine Umfrage, in der die Tories nur noch bei 19 Prozent liegen, 23 Prozentpunkte hinter Labour – und nur vier vor Reform UK. So schlimm war es noch nie.

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