Suizid in der Haft:Was den Häftling am Leben hält

Terrorverdächtiger Al-Bakr erhängt in Zelle aufgefunden

Sicher hinter Schloss und Riegel? Für Dschaber al-Bakr galt das nicht. Er starb in der JVA Leipzig.

(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Die ehemalige JVA-Leiterin Katharina Bennefeld-Kersten erklärt, was Haftanstalten gegen Suizide unternehmen und warum auch ein besonders gesicherter Haftraum keine Sicherheit bietet.

Interview von Bernd Kastner

Etwa 15 Suizide hat sie in ihrer Zeit im Justizvollzug erlebt, schätzt Katharina Bennefeld-Kersten, 69. Sie leitete von 1992 bis 2002 die JVA Celle-Salinenmoor und forscht zu Suiziden in Gefängnissen.

SZ: Gehört die Beschäftigung mit Selbsttötung zum Alltag im Gefängnis?

Katharina Bennefeld-Kersten: Ja, zunehmend, und das ist positiv. Ich habe 1977 angefangen im Vollzug und erinnere mich noch an Äußerungen von Kollegen: Och, wenn da einer hängt, dann esse ich erst mal mein Frühstücksbrot auf. Damals herrschte noch ein anderer Geist. Man wollte deutlich machen, dass man sich nicht beeindrucken lässt. Seither hat sich viel geändert, die Suizidzahlen gehen zurück.

Wann hat sich das spürbar geändert?

Es war ein langsamer Prozess. Mit dem Strafvollzugsgesetz 1977 wurde eine andere Haltung den Menschen gegenüber propagiert, der Fokus wurde auf die Resozialisierung gelegt. Das hat viel gebracht. Um das Jahr 2000 waren die Gefängnisse noch stark überbelegt, das hat sich inzwischen spürbar gebessert, die Mitarbeiter haben mehr Zeit, sich um die Insassen zu kümmern. Und die Bundesländer haben investiert, auch in Personal und die Schulung.

Katharina Bennefeld-Kersten

Katharina Bennefeld-Kersten wurde bekannt, als sie sich 1996 bei einer Geiselnahme in ihrer JVA als Ersatzgeisel zur Verfügung stellte. Bis 2012 leitete sie den Kriminologischen Dienst des niedersächsischen Justizvollzugs.

(Foto: privat)

Wie kann eine JVA feststellen, ob ein Gefangener suizidgefährdet ist?

Das ist ein großes Problem. Es wäre gut, wenn sie ihn ein wenig kennen, aber das ist bei Neuzugängen natürlich nicht gegeben. Also muss man versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Nachbohren, wenn man das Gefühl hat, bei dem ist durch die Inhaftierung viel zusammengebrochen. Und es gibt ein Screening. Da wird abgefragt, ob jemand drogenabhängig ist, ob er früher in psychiatrischer Behandlung war und er schon Suizidversuche hinter sich hat. Das sind Indikatoren für eine Risikogruppe, zusammen mit einem fortgeschrittenen Alter.

Eine psychiatrische Untersuchung gibt es also nicht routinemäßig?

Nein, das ist aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Aber wenn der JVA-Mitarbeiter, der das Zugangsgespräch führt, den Eindruck hat, der Neue ist kippelig, dann kann er einen Psychologen einschalten.

Was ist in so einem Gespräch zu beachten?

Ich habe immer versucht festzustellen, was den neuen Häftling denn am Leben hält. Wenn einer das Gefühl hat, es kümmert sich keiner mehr um mich, es ist so unwichtig, ob ich auf der Welt bin, wenn einer keine Aufgabe für sich sieht und sich überflüssig fühlt - dann ist das Risiko eines Suizids vergleichsweise hoch. Manchmal kam als Antwort auf meine Frage, was ihn hält: mein Hund. Man muss verstehen, was es heißt für das Gegenüber, jetzt im Gefängnis zu sein. Ist es schlimm für ihn, wenn er sein Haustier zurücklassen musste? Wenn er schuld daran ist, dass die Katze ins Tierheim musste - das kann das Schlimmste für den Gefangenen sein und ihn zu einer Verzweiflungstat treiben.

Das Zugangsgespräch ist also eine Schlüsselsituation. Und wenn ein Bediensteter anschließend ein ungutes Gefühl hat?

Dann würde ich den Neuen gemeinsam mit anderen Gefangenen unterbringen. Man muss natürlich schauen, mit wem er dann zusammen ist, und dann darf er auch wirklich nicht mehr alleine bleiben. Wenn der Mitgefangene in die Freistunde geht, muss jemand anderes zu dem Neuzugang rein oder er muss mitgehen. Es gibt auch Suizide auf Gemeinschaftszellen, tagsüber, zum Beispiel wenn der Zellenkollege bei seinem Anwalt ist.

"Das Gefühl, permanent beobachtet zu werden, ist nicht angenehm"

Wie sieht es mit Kontrollen aus?

Das wäre der nächste Schritt. Ich würde nicht gleich einen Bediensteten neben seine Tür setzen, aber ihn in unregelmäßigen Abständen kontrollieren lassen. Auch wenn es eine große Belastung ist und Sie einen Suizid nicht völlig verhindern können. Eine Viertelstunde reicht dafür schon. Auf jeden Fall muss der Wachdienst eingeschaltet sein, der muss immer wieder mit dem labilen Gefangenen sprechen und gegebenenfalls einen Psychologen einschalten.

Und wenn das auch nicht hilft?

Dann haben Sie die Möglichkeit, ihn in einem besonders gesicherten Haftraum unterzubringen. Da gibt es nur eine Matratze und einen Abtritt, ein Loch im Boden als Klo, sonst nichts, auch keine Gitter, an denen sich der Häftling strangulieren könnte. So ein Raum ist höchst unangenehm, und auch dort habe ich Suizide erlebt. Ansonsten können Sie noch versuchen, einen Gefährdeten in einer Psychiatrie unterzubringen.

Wäre nicht eine Videoüberwachung am einfachsten und effektivsten?

Die Länder streiten noch darüber, ob es erlaubt ist, manche tun es schon. Aber auch das Gefühl, permanent beobachtet zu werden, ist nicht angenehm. Ich persönlich bevorzuge suizidpräventive Räume. Sie sind freundlich eingerichtet und haben einen Fernseher. Sie liegen gleich neben dem Stationszimmer, die Bediensteten kommen oft vorbei und schauen immer wieder mal kurz durch die Scheibe zum Häftling rein.

Suizid in der Haft: SZ-Grafik; Quelle: Dr. Katharina Bennefeld-Kersten

SZ-Grafik; Quelle: Dr. Katharina Bennefeld-Kersten

Gibt es sie standardmäßig?

Noch nicht. Das ist ein Vorschlag von unserer Arbeitsgruppe, einige Länder sind dabei, sie nach und nach einzurichten.

Gibt es auch Unterstützung von außen, um Gefährdeten zu helfen?

Ja, und das halte ich am gelungensten von allen Maßnahmen. Niedersachsen und inzwischen auch Bremen haben eine Telefonseelsorge auf die Beine gestellt, seit 2010 gibt es sie. Alle niedersächsischen Gefängnispfarrer stehen abwechselnd nachts als Gesprächspartner zur Verfügung. Gefährdete Gefangene werden in eine Zelle mit Telefon gelegt und können von dort aus den Pfarrer anrufen, wenn sie nicht mehr ein oder aus wissen, und so lange mit ihm reden, wie sie wollen. Ich finde, jeder Neuzugang in der U-Haft sollte die ersten 14 Tage auf einer solchen Telefon-Zelle liegen. Und das ist nicht die einzige neue Idee, es gibt noch das Listener-Modell.

Was ist das?

Bayern hat das aus England übernommen, man könnte es als Modell des Zuhörens übersetzen. Man legt speziell ausgesuchte und ausgebildete Gefangene mit einem kippeligen Neuzugang zusammen. Nicht in dieselbe Zelle, der "Listener" kommt in einen Nachbarraum, die Zellen sind durch eine Tür miteinander verbunden. Der "Listener" kümmert sich um den Neuen, hört ihm zu, informiert ihn über die Abläufe im Gefängnis. Er nimmt ihn an die Hand.

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