Süddeutsche Zeitung

Hohe Corona-Zahlen:Südtirol verschreibt sich harten Lockdown

Die 7-Tage-Inzidenz liegt in der autonomen Provinz derzeit bei 763. In Österreich gibt es Streit wegen der Südafrika-Mutante im Bundesland Tirol. Eine Entscheidung über verschärfte Maßnahmen wurde am Sonntagabend vertagt.

Von Martin Langeder und Oliver Meiler, Rom/München

Der lange Selbstbetrug endet, der Sonderweg ist gescheitert. Südtirol macht nun schnell alles dicht, um die verheerende Entwicklung der Seuche auf seinem Verwaltungsgebiet unter Kontrolle zu bringen. Die jüngste 7-Tage-Inzidenz liegt bei 763 auf 100 000 Einwohner, ein sehr hoher Wert. Europaweit steht nur Portugal schlechter da. Die britische Mutation des Coronavirus soll schon seit mindestens einem Monat in Südtirol sein. Wie stark sie sich verbreitet hat, weiß man noch nicht. Die Impfkampagne kommt nur schleppend voran, was vielleicht auch daran liegt, dass es in Südtirol traditionell viele Impfgegner gibt. Das Gesundheitswesen steht unter großem Stress. Da blieb der Landesregierung der autonomen Provinz nun keine andere Wahl, als einen harten Lockdown zu verhängen - für drei Wochen, von diesem Montag an.

Geschäfte, Hotels, Bars und Restaurants, alles macht zu. Fabriken und Handwerksbetriebe bleiben offen, müssen ihr Personal aber einmal wöchentlich testen. Ein Großteil der Schüler muss in den Fernunterricht. Niemand darf seine Wohngemeinde verlassen, außer für Notfälle. In Bozen zum Beispiel, wo die Gemeindegrenzen fast identisch sind mit den Stadtgrenzen, können die Menschen fürs Luftholen und Sonnentanken nicht einmal mehr auf den Ritten, das Hochplateau über der Stadt.

Man hielt sich für "gelb", dabei war man schon "dunkelrot"

Besonders schmerzlich daran: Südtirol muss dichtmachen, während der Rest Italiens öffnet. Beinahe das ganze Land gilt jetzt als "gelb", das ist die mäßigste Gefahrenstufe im Ampelsystem. In Mailand, Rom und Neapel sah man am Wochenende wieder Menschenmassen auf den Straßen und den Meerpromenaden, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, und natürlich macht das den Behörden Sorgen. Am 15. Februar sollen da und dort auch die Skiorte ihren Betrieb unter Auflagen aufnehmen. In Südtirol nicht, ausgerechnet. Südtirol ist auch für die europäischen Observationsstellen "dunkelrot" - ein Rot, das es in der Farbenpalette des italienischen Gesundheitsministeriums gar nicht gibt.

Überhaupt wollten die Südtiroler in dieser Pandemie mal wieder alles nach dem eigenen Kopf machen, um sich selbst und der Welt zu beweisen, dass man die Dinge nun mal besser im Griff hat als Rom. Südtirol war im vergangenen Mai die erste Provinz im Land, die den ersten Lockdown löste. Alle italienischen Fernsehsender schickten damals Kamerateams hoch, damit sie über die "Musterprovinz" und ihren "Modellfall" berichteten. Im Spätherbst dann, als die zweite Welle schon eingesetzt hatte, hieß es, man plane die Wintersaison wie gehabt. Und im Januar, als Rom Südtirol als rote Zone einstufte, gebärdete man sich einfach weiter so, als wäre man "gelb". Der Druck von Hoteliers und Gewerbeleuten war immer stärker als die Sorge vor Covid-19.

Auch die allgemeine Disziplin war in Südtirol immer etwas lockerer als in anderen Teilen Italiens. Manche ließen sich ihr Hochzeitsfest nicht nehmen, in eigentlich geschlossenen Hotels. In einem bekannten Lokal im Val Gardena unterbrach die Polizei neulich eine Party - mit 155 Gästen. Vor allem in den kleinen Berggemeinden hielt man sich nicht so gern auf mit dem lästigen Maskentragen und dem Abstandhalten. In den Stuben wurde Karten gespielt wie ehedem. Nun ist die Lage gerade in vielen kleinen Ortschaften katastrophal.

Der Tonfall aus Bozen ist neu, viel kleinlauter

Die abrupte Kehrtwende der Landesregierung aus Südtiroler Volkspartei und Lega überzeugt aber trotz offensichtlicher Notwendigkeit längst nicht alle. Die Zeitung Dolomiten titelte "Kniefall vor Rom", als wäre die Umkehr ein Zeichen der Schwäche. Und: "Keine Lust auf Lockdown: Die Wirtschaft droht mit Protesten." Die Vereinigung der Kaufleute überlegt sich, ob sie dazu aufrufen soll, die Schließungsverordnung zu ignorieren. Und so fühlte sich Landeshauptmann Arno Kompatscher gedrängt, mit einem dringlichen Appell alle zur Räson zu bringen: "Es ist Solidarität gefragt", sagte er. "Es ist eine Frage des Zusammenhalts, wenn wir das Ziel der Öffnung in drei Wochen überhaupt erreichen wollen." Das ist ein ganz neuer Tonfall aus Bozen, ein viel kleinlauterer.

Droht wegen B.1.351 ein "zweites Ischgl"?

Nördlich des Brenners bereitet indes die Ausbreitung der südafrikanischen Virus-Variante B.1.351 große Sorge. Schon am Mittwoch hatte die Virologin Dorothee von Laer von der Universität Innsbruck gefordert, das Bundesland Tirol zu isolieren. Sie kritisierte die Landesregierung und die lokalen Behörden für den Umgang mit der Ausbreitung der Mutanten scharf - und warnte gar vor einem "zweiten Ischgl". Bislang wurden laut Land Tirol 165 B.1.351-Fälle bestätigt, außerdem gebe es 230 Verdachtsfälle. Eigentlich sollten von Montag an, wie überall in Österreich, unter strengen Sicherheitsauflagen die Friseure und Händler wieder aufsperren dürfen. Doch nun streiten die Landesregierung und die Bundesregierung seit Tagen über den Öffnungsfahrplan.

Während in Wien die Isolation einzelner Regionen oder des ganzen Bundeslandes geprüft wird, baut man in Innsbruck auf Massentests, verschärftes Contact-Tracing und besseren Schutz für Alters- und Pflegeheime; das Büro von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) verwies am Sonntag noch einmal auf die "deutlich rückläufige Corona-Infektionszahl". Eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise hatte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für Sonntagabend angekündigt. Anders als in Südtirol denkt man in Tirol jedenfalls keineswegs daran, kleinlaute Töne anzuschlagen. Das machte Christoph Walser, Präsident der Tiroler Wirtschaftskammer, am Sonntagabend zum wiederholten Male unmissverständlich klar. In der Nachrichtensendung ZiB2 sagte er: "Wir sperren auf." Wenig später wurde bekannt, dass die Gespräche zwischen Bundesregierung und Land Tirol ohne Ergebnis vertagt wurden.

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