Südtirol:Gemeinheiten unter Freunden

Keine Öffnung des Brenners, keine Finanzhilfen: Österreichs Kanzler Kurz schockiert die autonome Region Südtirol.

Von Oliver Meiler, Rom

Bergsteiger mit roter Jacke steht auf einem Grat, hinten Berggipfel und spitze Felsen, dramatische Wolken, Cimon di Crod

Das Sehnsuchtsziel Dolomiten könnte für deutsche Touristen in diesem Jahr unter Umständen unerreichbar bleiben – wenn der Brenner nicht geöffnet wird.

(Foto: Moritz Wolf/imago)

So schnell welken Freundschaften in Zeiten von Corona. Normalerweise rühmen sich die Regierenden Südtirols, die Volkspartei und ihr Landeshauptmann Arno Kompatscher, dass sie in Wien einen guten Freund wissen. Einen, den man duzt und bei Bedarf auf dem "kurzen Dienstweg" erreicht, wie die zweisprachige Onlinezeitung Salto schreibt: auf dem Handy. Sebastian Kurz, Österreichs Bundeskanzler, ist ein Vertrauter Kompatschers.

Sie waren schon wandern zusammen, auf dem Ortler, es gibt schöne Bilder davon. Sie verstehen sich auch politisch gut. Wenn Bozen mal wieder Probleme mit dem italienischen Zentralstaat hat, was recht oft geschieht, dann kommt aus Wien Beistand - gerne auch in Form von historischen Provokationen. Die Wunden sind schnell wieder offen. Und die Herzen von manchen "tedeschi", wie die Italiener die deutschsprachigen Mitbürger in Südtirol nennen, fliegen dann rüber in das vermeintliche Vaterland hinter dem Brenner. Hinter der Grenze, die Schengen obsolet gemacht hat.

Allenfalls Korridore zur Durchreise nach Italien kann sich Österreichs Kanzler vorstellen

Und nun das: Die Grenze ist zu, gewissermaßen mit Schlagbaum, rüber darf nur, wer Waren transportiert oder unbedingt muss. Und so soll es vorerst auch bleiben, wenn es nach Kurz geht. Er sehe "keine Perspektive für eine Öffnung" der Grenze zu Italien. "Wann und ob sie in diesem Sommer noch möglich sein wird, hängt allein von der Entwicklung in Italien ab", sagte er der Tiroler Tageszeitung. Gemeint war: die epidemiologische Entwicklung.

Österreich könne sich nur Ländern öffnen, in denen die Lage "ähnlich gut ist wie bei uns". Deutschland und die Schweiz zum Beispiel. Allenfalls sind Korridore für deutsche Touristen möglich, die nach Italien fahren wollen und Österreich auf ihrem Rückweg einfach nur durchqueren, ohne anzuhalten. Möglich wäre das schon bald: Italien hat beschlossen, seine Landesgrenzen am 3. Juni wieder zu öffnen, falls die Infektionszahlen in der Zwischenzeit nicht wieder stark zunehmen. Erst für Mitte Juni sind dann die Grenzöffnungen anderswo geplant - selektiv und bilateral, wenn sich Europa nicht bald zu einer gemeinsamen Lösung mit gemeinsamen Kriterien durchringt. Das fordert Rom, es fühlt sich gerade diskriminiert. Italiens Europaminister Vincenzo Amendola sagte über die Schließung der äußeren Grenze Österreichs: "Wenn es damit seinen Tourismus schützen will, scheint mir das kein sensationeller Trick zu sein." Österreich versuche, deutsche Touristen, die sonst nach Italien in den Urlaub fahren, bei sich zu behalten. Die Freunde von Kurz in Bozen seien in "Schockstarre" verfallen, schreibt die Südtiroler Tageszeitung. Dazu muss man wissen, dass die autonome Provinz vor allen anderen Regionen Italiens den Lock- und den Shutdown gelöst hat, regelrecht gegen die Zögerlichkeit Roms erzwungen hat, um möglichst bald bereit zu sein für die Beherbergung von Touristen aus dem Ausland. 33 Millionen Übernachtungen zählt Südtirol im Jahr, der Fremdenverkehr ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Provinz. In diesem Jahr rechnet man mit großen Verlusten. Natürlich werden sie noch gewichtiger ausfallen, wenn die Hinreise aus dem Norden in den Sommermonaten verhindert oder behindert wird. Eigentlich hätte die Saison in Südtirol bereits begonnen, die Hotels sollen nun in den kommenden Tagen wieder öffnen.

Die Südtiroler Schockstarre ist sogar eine doppelte: Österreich steht mit seinem Kanzler ja auch an der Spitze der vier sogenannten "sparsamen Länder", die dem von Corona hart getroffenen Süden keine bedingungslosen Zuschüsse für den Wiederaufbau zugestehen wollen, wie das Angela Merkel und Emmanuel Macron vorgeschlagen haben. Es gehören außerdem dazu: die Niederlande, Dänemark und Schweden. Ihre Blockade, sollte sie denn Erfolg haben, würde in erster Linie Italien treffen - und damit auch Südtirol. Von wegen beste Freunde und Schutzmacht.

Für die "italiani" unter den Politikern Südtirols, die Kompatscher und der SVP gerne allzu große Nähe zu Wien unterstellen, ist das natürlich eine hübsche Vorlage. Kurz führe sich "wie ein Kaiser" auf und füge Südtirol Schaden zu, sagt zum Beispiel die Boznerin Michaela Biancofiore, Abgeordnete der bürgerlichen Partei Forza Italia. Die junge Partei Team K wiederum, angeführt vom Informatikunternehmer Paul Köllensperger, lässt ausrichten, man sehe mal wieder, wie viel diese Freundschaft in Wahrheit wert sein: "einen Pfifferling". Es gehe da nur um "knallharte nationale Interessen". Auch das Bekenntnis zur Euroregion Tirol steht nun in einem neuen Licht, es ist nicht das beste.

Salto zeigt auf seiner Webseite eine Karikatur, man sieht darauf Sebastian Kurz auf einer Medienkonferenz, ein Reporter fragt ihn: "Die Grenze bleibt also zu? Was glauben Sie, sagt Südtirols Landeshauptmann dazu?" Kurz antwortet: "Ach? Gibt es da überhaupt einen?!?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: