Jetzt ist sie in Sicherheit. Sie hat ihr Land hinter sich gelassen; die Rebellen, die immer wieder über ihre Stadt herfielen, Frauen verschleppten, Häuser plünderten und anzündeten. Der Bus, mit dem sie hierher kam, ist unterwegs beschossen worden, sie sah brennende Tanklaster am Straßenrand, sogar noch wenige Kilometer vor der Grenze. Die Anarchie, die im Norden begann, hat inzwischen das ganze Land erfasst. Jenes Land, das den Plänen zufolge eigentlich vor Hoffnung bersten sollte. Die jüngste Nation der Welt.
Die junge Frau in der geblümten Bluse heißt Monica Mading, sie ist 16 Jahre alt und kommt aus dem Südsudan. Jetzt steht sie in der Schlange eines Auffanglagers für Flüchtlinge im benachbarten Uganda, ein paar Hundert Meter von der Grenze entfernt, und sie wünscht sich vor allem: "nicht mehr zu hungern. Und zur Schule gehen, ohne Angst zu haben, dass man auf dem Weg umgebracht wird."
Die Geschichten, die man hier hört, klingen alle ähnlich: die Flucht vor hemmungsloser, unkalkulierbarer Gewalt, das Unverständnis darüber, was die Hintermänner treibt, die diese junge Nation eigentlich regieren und in eine hoffnungsfrohe Zukunft führen sollten. Stattdessen treiben sie ihre eigenen Bürger in die Flucht; wer irgendwie die Kraft aufbringt, bricht auf: Ende vergangener Woche haben die Vereinten Nationen verkündet, dass inzwischen eine Million Menschen aus dem Südsudan geflohen sind. Zugleich leben 1,6 Millionen als Vertriebene innerhalb des Landes, und etwa fünf Millionen, also fast die Hälfte aller Bürger, sind von Hunger bedroht. Die Jubiläumsfeiern nach fünf Jahren Unabhängigkeit, die im Juli geplant waren, sagte die Regierung konsequenterweise kurz vorher ab; zu dem Zeitpunkt fegte obendrein gerade eine neue Welle der Gewalt durch die Hauptstadt Juba.
Im Juli 2011 hatte sich der neue Staat nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg vom Sudan abgespalten, mit milliardenteurer Geburtshilfe durch die internationale Gemeinschaft. Im Dezember 2013 flammten Kämpfe zwischen Anhängern von Präsident Salva Kiir sowie dessen zuvor entlassenem Vize Riek Machar auf. Aus dem Machtkampf der früheren Rebellenchefs, die zwar ihre Uniformen gegen graue Anzüge getauscht, aber an ihrem gewohnten Umgang mit Meinungsverschiedenheiten wenig geändert hatten, ist ein Bürgerkrieg geworden, ein Konflikt entlang ethnischer Linien. Ein Teil der zahlreichen Waffenstillstands- und Friedensabkommen, die Kiir und Machar seither unter internationalem Druck geschlossen haben, sind bereits nach wenigen Tagen wieder gebrochen worden. Und jeden Tag strömen neue Busladungen von Flüchtlingen über die Grenze nach Uganda.
Eines haben der Präsident und sein ehemaliger Vize gemeinsam: Sie profitieren vom Krieg
Monica Mading ist ethnische Dinka, wie auch Präsident Kiir; ein paar Meter weiter stehen Nuer, Menschen vom Volk des Rebellenführers Machar also. Ein junger Mann namens Hassan Abuyi, 25 Jahre alt, ist ethnischer Kuku; "wir werden im Südsudan als Feiglinge beschimpft", sagt er, "weil wir uns bislang aus den Kämpfen herausgehalten haben". Er ist aus Juba geflohen, weil er fürchtete, über Nacht entführt und als Soldat zwangsrekrutiert zu werden; so, wie es schon vielen anderen jungen Männern und auch Minderjährigen passiert ist.
Monica Mading und Hassan Abuyi sagen, wie viele andere Menschen in den ugandischen Flüchtlingslagern auch: Wir haben hier keine Probleme miteinander, wir sind eine Nation, es sind unsere Anführer, die da drüben den Krieg schüren.
Wie kann das sein? Was ist so schwer daran, zumindest einen kleinen Schritt aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu machen, um dem eigenen Volk Leid zu ersparen? Eine Reihe von Erklärungen bietet jetzt ein Bericht des Rechercheprojekts "The Sentry", den der US-Schauspieler George Clooney und der Menschenrechts-Aktivist John Prendergast finanziert haben. Sowohl Clooney als auch Prendergast gehörten seinerzeit zu den leidenschaftlichsten Lobbyisten für die Unabhängigkeit des Südsudan, nun war es ihnen offenbar eine ebenso große Herzensangelegenheit, zu erforschen, warum das Projekt der Staatsgründung gescheitert ist.
Zwei Jahre lang recherchierten mehrere Autoren in ihrem Auftrag, weitgehend anonym, und sind zu dem Schluss gekommen, dass sowohl Kiir als auch Machar bis dato "finanziell vom Fortschreiten des Krieges profitiert" hätten. Der Report belegt, in welchem Luxus etwa Verwandte von Präsident Kiir leben, auf welche teuren Privatschulen im benachbarten Kenia seine Kinder und Enkel gehen, an welchen Unternehmen seine Ehefrau beteiligt ist. Ein früherer General aus Kiirs Armee hat sich dem Bericht zufolge ein 1,5 Millionen Dollar teures Anwesen in Australien gekauft, obwohl er nur ein Jahresgehalt von 60 000 Dollar bezog.
Ein Sprecher der südsudanesischen Regierung wies den Inhalt des Berichts als "Müll" zurück und drohte, man werde die anonymen Informanten enttarnen.
Unterdessen dringen Beobachter auf ein Waffenembargo gegen das Land. Einem internen UN-Bericht zufolge, aus dem die Nachrichtenagentur AP zitierte, ist der "bei weitem überwiegende Teil" der Staatseinnahmen, die meist aus dem Öl-Export stammen, in "Waffenkäufe anstelle von Sozialleistungen" geflossen.